Der Leſer dieſer Annalen kennt aus Band XXVI, S. 275, (1807, St. 7,) das Inſtrument, welches Herr Prony in Paris angegeben hat, um damit die täglichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel mit Bequemlichkeit und groſser Genauigkeit zu meſſen. Statt daſs Wilke, Cou - lomb, Caſſini, Hällſtröm*)Siehe Annalen, XIX, 282. und Gilpin ſich eines Mikroſkops bedienten, unter welchem die Spitze der Magnetnadel hin und her ſpielte, ver - einte Herr Prony einen parallelepipedariſchen Magnetſtab mit einem Fernrohre von 20 Zoll Brennweite, ſo, daſs beide horizontal, in paralle - ler Lage, in einem doppelten Gehäuſe mit Glasfen - ſtern, an einem langen Faden ſchwebten, der aus mehrern einfachen Seidenfäden beſtand; das Fern - rohr lieſse ſich über und unter den Magnetſtab dre - hen, und an einer 200 Toiſen entfernten Mauer war eine Eintheilung aufgetragen, an welcher durch426 die Fäden des Fernrohrs die Lage des Magnetſtabes beſtimmt wurde.
Als ich das Vergnügen hatte, Oſtern 1806 zu Berlin die perſönliche Bekanntſchaft des Herrn Freiherrn von Humboldt zu machen, fand ich dieſen unermüdlichen Beobachter eben damit beſchäftigt, ein Inſtrument dieſer Art auf einem ſo - liden Poſtamente von Mauerwerk in einem Garten - ſaale des Hauſes aufzurichten, welches er bewohn - te, und das für dieſe Gattung von Beobachtungen eine ausgeſuchte Lage hat. Die Reſultate der fort - laufenden Beobachtungen, die hier von ihm in Ge - meinſchaft mit Herrn Oltmanns angeſtellt ſind, machen einen Theil der noch unbenutzten Schätze aus, welche die Papiere des Herrn von Hum - boldt in ſo groſser Menge in ſich ſchlieſsen. Auch während ſeiner Reiſe hatte er an mehrern Orten Beobachtungen über die ſtündliche Abweichung der Magnetnadel angeſtellt, zum Beiſpiel unweit Li - ma, (Annalen, XVI, 475,) und zu Rom; was von den letztern durch Herrn Oberbergrath Kar - ſten in Berlin in das Publicum gekommen iſt, hat die Erwartung der Naturforſcher auf ſie auf das höchſte geſpannt. „ Ich bin hier mit neuen Verſu - „ chen über die ſtündliche Variation vermittelſt ei - „ ner Lunette aimentée, die an einem Faden hängt, „ beſchäftigt, “(ſchrieb Herr von Humboldt am 22ſten Junius 1805 zu Rom.) „ Dieſes Prony '- „ ſche Inſtrument giebt eine Genauigkeit von 20 Se - „ cunden, und ich habe damit ſtatt der v. Caſſini427 „ beobachteten beiden täglichen Bewegungen, vier „ regelmäſsige magnetiſche Ebben und Fluthen ent - „ deckt, faſt wie die ſtündlichen Oscillationen des „ Barometers, über welche Sie in meinem Natur - „ gemählde der Tropen viel leſen werden. “
Ein Brief, den Herr Freiherr von Hum - boldt, unmittelbar nach der Beobachtung, von der darin die Rede iſt, an Herrn Prof. Erman in Berlin ſchrieb, paſst durch ſeinen Inhalt ſo ganz an dieſe Stelle, daſs ich nicht Gefahr zu laufen glaube, mich der Miſsbilligung dieſer eifrigen Naturforſcher auszuſetzen, wenn ich eine Ueberſetzung deſſelben hier einſchalte. Herr von Humboldt beſtimm - te ihn nicht für eine öffentliche Bekanntmachung; wer indeſs ſtets ſo mittheilend mit den Früchten ſei - ner Anſtrengung und ſeines genialiſchen Blicks ge - weſen iſt, als er, würde ſchwerlich dem, der Be - lehrung über dieſe dunkeln Gegenſtände ſuchte, ei - ne ſo ſeltene und doch ſo wichtige Beobachtung vorenthalten, die von ihm mit ſo groſser Vollſtän - digkeit und Schärfe gemacht iſt.
Berlin den 21ſten Dec. 1806 9 Uhr Morg.
„ Ich weiſs nicht, ob Sie das ſeltene Phänomen beobachtet haben, das ſich in der vergangenen Nacht gezeigt hat. Ich muſs es Ihnen beſchreiben, ehe ich mich niederlege; denn für dieſe Nacht war die magnetiſche Wache an mir. Gegen 10 Uhr be - merkten wir, (Herr Oltmanns und ich,) in NNO einen Lichtbogen, der 2° 38′ Breite, und428 eine gelblich-rothe Farbe hatte. Der ganze Him - mel war wolkenlos und azurblau. Der Stand des Mondes hatte keinen Einfluſs auf das Phänomen; es war weder ein Hof noch ein Regenbogen. Man erkannte durch das gelbe Licht des Bogens hin - durch Sterne 6ter Gröſse. Das Maximum der Con - vexität c, (Taf. IV, Fig. 1,) war etwas weſtlicher als die Verticalebene durch die magnetiſche Abwei - chung. Wir haben Beobachtungen angeſtellt, um aus ihnen das Azimuth und die Höhe dieſes Punk - tes zu berechnen, welche 9° ſeyn wird. Die Oeff - nung des Bogens, ab, war 74° 40′. Dieſes ſel - tene Nordlicht dauerte bis 14 Uhr, und veränderte während dieſer Zeit ein wenig ſeine Stelle. Es wur - de als ſolches von mehrern Perſonen auf der Stra - ſse erkannt, auch von dem Herzoge von Weimar, der einen Theil der Nacht in meinem Garten zu - brachte. Das Thermometer ſtand auf 3° R., das Barometer auf 27″ 8‴,2, ohne ſich zu verändern; erſt um 15 Uhr fing es an zu fallen. “
„ Höchſt merkwürdig war der Einfluſs dieſes Lichtmeteors auf die Magnetnadel. Die Verände - rungen in der Abweichung, welche Nachts ge - wöhnlich nur 2′ 27″ bis 3′ 0″ betragen, ſtiegen während des Nordlichts auf 26′ 29″ dieſes iſt in unſern Beobachtungen ohne Beiſpiel. Dabei fand kein magnetiſches Ungewitter Statt; die Schwan - kungen waren nicht beſonders ſtark; und, was ſehr auffallend iſt, das Nordlicht, welches in NNW ſtand, ſtieſs den Nordpol der Nadel ab; denn ſtatt429 nach Weſten fortzuſchreiten, ging die Nadel vielmehr nach Oſt zurück. Die Abweichung war am klein - ſten um 9u 12′, ungefähr um die Zeit, als der Bo - gen am helleſten war; die Unregelmäſsigkeiten in ihr fingen aber ſchon um 6u an, und hörten auf um 12u. Die übrigen 8 Stunden der Nacht hindurch verhielt ſich die Abweichung wie gewöhnlich, das heiſst, ſie hatte die verlornen 26′ 29″ wieder ge - wonnen. “
„ Die Intenſität der magnetiſchen Kraft war wäh - rend des Nordlichts kleiner als nachher. Es wur - den 21 Schwingungen vollendet:
Ich bin zu müde, um Herrn Tralles zu ſchreiben. Haben Sie die Güte, ihm dieſe Zeilen mitzutheilen. “
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Die vollständigste aller bisherigen Beobachtungen über den Einfluss des Nordlichts auf die Magnetnadel. Alexander von Humboldt. . 1808. Annalen der Physik (29) pp. 425-429.
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