(Noch ungedruckt, aus dem zweyten Bande der Voyages aux terres australes par Humboldt etc.)
Mitten in der weſtlichen Oeffnung der Meerenge Baß, beynahe gleich weit von dem Lande Diemen und von Neu - Holland, liegt die Jnſel King, die von Norden nach Süden ungefähr 40 Meilen lang, hingegen von Oſten nach Weſten kaum 32 bis 33 Meilen breit iſt; ihr ganzer Umfang be - trägt 46 bis 48 Meilen. Der ganze weſtliche Theil dieſer Jnſel hat keinen Schutz gegen die Wellen des unermeßlichen Sud-Oceans, und iſt mit ſehr gefährlichen Klippen beſetzt; die Waſſertiefe iſt um die Jnſel her durchgehends ziemlich beträchtlich, und ſogar in einer geringen Entfernung vom Lande findet man nicht leicht weniger als 6 bis 10 Faden; der Grund beſteht faſt überall aus einem ſchlammigen und ſchwarzen Sande, der zum Ankern ſehr tauglich iſt; aber unglücklicher Weiſe iſt die Schicht deſſelben ſo wenig tief, und unter ihr ſind ſo ſcharfe Felſen, daß es vielleicht keine Stellen gibt, welche der Schiffer mehr zu fürchten hätte. Zu dieſem Uebel kommt bey der Jnſel King auch noch der ſchlimme Umſtand, daß ſie den Südweſtwinden ausgeſetzt und ſchrecklichen Strömungen unterworfen iſt. Endlich findet man an dem ganzen Umfange der Jnſel keinen Hafen, ja nicht einmal eine tiefe Bay. Aus dieſen Umſtänden zuſammen genommen, muß ſich ergeben, daß es für die Schiffe äußerſt gefährlich iſt, an dieſer Jnſel zu ankern.
Die Jnſel King ſcheint, wegen ihrer Lage zwiſchen den hohen Bergen des Vorgebirges, der Jnſeln Furneaux unddes Diemenslandes, wegen des Umſtandes, daß ſie frey und abgeſondert liegt, und den Südweſtwinden ausgeſetzt iſt, wegen der dicken Wälder, womit ſie bedeckt iſt, und wegen der Beſchaffenheit der Felſen, woraus ihr Boden beſteht, beſtändig eine feuchte und kalte Temperatur zu haben: wirklich, obſchon wir uns zu einer Zeit daſelbſt befanden, welche mit dem Monate Junius der nördlichen Halbkugel übereinkommt, war doch die Atmoſphäre immer wie in einem regneriſchen und ſpäten Herbſte unſerer Himmels - ſtriche beſchaffen. Nebel und Thau waren daſelbſt immer ſehr reichlich; in den vierzehn Tagen, die wir am Lande zubrachten, regnete es ſo zu ſagen unaufhörlich; und wir hörten von den engliſchen Flichern, welche ſich ſeit dreyzehn Monaten daſelbſt aufhielten: daß es den größten Theil des Jahres ſo ſey. Dieſe Regen ſind äußerſt kalt und ſchwer; ſie dauern gewöhnlich zwey bis drey Stunden, und hören nur einige Augenblicke auf, um darauf mit derſelben Hef - tigkeit wieder anzufangen.
Der Verbindung aller hier erwähnten phyſiſchen Umſtän - de hat die Jnſel King den in dieſen Gegenden ſo ſchätzbaren Vortheil zu danken, daß ſie mit ſüßem Waſſer reichlich verſehen iſt. Ueberall, wo die Beſchaffenheit des Bodens den Ausfluß und die Vereinigung des Waſſers nicht hindert, findet man zahlreiche Quellen. Aber auf der nordöſtlichen, auf der weſtlichen und ſüdweſtlichen Seite, wo der Boden beſonders aus ſandigen Hügeln beſteht, welche das Regen - waſſer nicht zurückhalten können, haben wir nirgends eine Spur von Bächen entdecken können; und da dieſe Hügel266gegen das Meer eine ununterbrochene Vormauer ausmachen, ſo läßt ſich vermuthen, daß das Waſſer genothigt iſt, gegen das Jnnere des Landes zurückzufließen. Dieſe Vermuthung wird durch die Erzahlung der engliſchen Fiſcher einiger - maßen beſtätigt; ſie verſichern, in dem Mittelpunkte der Jnſel ſey eine Art von großem See, deſſen Waſſer ſehr tief ſey, und in deſſen Mitte ſich eine kleine Jnſel erhebe, welche ſie bis jetzt noch nicht beſucht haben.
Die mineraliſchen Produkte der Jnſel King ſind ſehr mannigfaltig, und faſt alle gehören den primitiven Felſen an. Unter dieſen letztern bemerkte man einen ſehr ſchönen Porphyr, welcher Kryſtallen von Eiſen mit Schwefel ver - mengt (fer ſulfuré) enthält; mehrere Gattungen von ſer - pentinartigen und thonartigen Steinen, wovon einige in ihren Spalten gleichſam kleine Gänge von Asbeſt zeigten. An verſchiedenen Stellen des Ufers fand man ziemlich große Kryſtallen von Hyalin-Quarz, Bruchſtücke von Jaſpis, und vornämlich ſehr dicke Blöcke von einer röthlichen und ſehr harten Breſche, welche aus Kieſeln von jeder Größe beſteht, und wegen ihrer reichen und mannigfaltigen Farben dem Steinſchneider und Marmorarbeiter ziemlich große Vortheile gewähren könnte.
Alles Waſſer der Jnſel enthält Eiſen-Oxyd in einem ſo ſtarken Verhältniſſe, daß das Metall, welches dieſem Oxyde zur Baſis dient, wahrſcheinlich vielen Antheil an der Zu - ſammenſetzung gewiſſer Steine hat.
Wir haben freylich keine Art von ſalziger Subſtanz beobachten können; aber die Fiſcher behaupten, daß ſich in Jnnern des Landes ein ganz aus Steinſalz (muriate de ſoude criſtallisé natif) beſtehender Hügel befinde.
Unter allen der Jnſel King eigenthümlichen Steinarten iſt keine merkwürdiger, als diejenige, von welcher ich noch zu reden habe; es iſt eine Art von ſchwärzlich blauem, ſehr feinkörnigem Granit, welcher mit kleinen, ſehr ſchwarzen Kryſtallen von Hornblende vermengt iſt, wodurch er das Ausſehen von Hornſtein erhält. Dieſe Subſtanz hat in ihren Maſſen eine Artvon regelmäßiger und kantenförmiger Kry - ſtalliſation, ſo daß jede dieſer Maſſen eine triedriſche Py - ramide darſtellt, deren Spitze nach oben gekehrt iſt, und deren Ecken ſtark und ſchneidend ſind. Wenn man einen von dieſen Kryſtallen zerbricht, ſo bemerkt man, daß er ſich in kleine Pyramiden auflöſet, deren Form der Form der Hauptmaſſe ähnlich iſt.
Dieſer beſondern Beſchaffenheit hat der Granit, von welchem hier die Rede iſt, den traurigen Vortheil zu ver - danken, daß er der Schrecken der Seefahrer an dieſen Küſten iſt. Da er den größten Theil der Geſtade der Jnſel King und der Jnſeln du Nouvel-An ausmacht, da er mit einer ähnlichen Beſchaffenheit ſich auch in dem Grunde des Meeres findet, wo er blos mit einer leichten Schicht von ſchlammi - gem Sande bedeckt iſt; ſo ergibt ſich daraus, daß von denſcharfen Ecken dieſes Granits die ſtärkſten Kabeltaue bald durchſchnitten werden.
Der ganze Theil der Jnſel, den wir haben unterſuchen können, ſtellt das Gemählde einer ſehr ſtarken und kräfti - gen Vegetation dar: in verſchiedenen Gegenden ſtehen die Bäume und Geſträuche ſo dicht an einander, und ihre Trüm - mer liegen überall ſo vielfach umher, daß es beynahe un - möglich iſt, in die Wälder einzudringen; aber im Allge - meinen haben die Pflanzen, woraus ſie beſtehen, nicht die rieſenmäßige Größe, welche wir an denen auf Diemensland bewundert haben; übrigens gehoren ſie zu denſelben Ge - ſchlechtern, wie dieſe letztern; wie dieſe, bleiben ſie immer grün; wie dieſe, ſind ſie ohne alle eßbare Früchte, und in dieſer Rückſicht für die Bedürfniſſe des Menſchen und der obſtfreſſenden Thiere unnütz.
Auf der ganzen Ausdehnung der Jnſel King bemerkt man keine Spur von der menſchlichen Gattung, und Alles verkündet, daß dieſe Jnſel den wilden Völkerhaufen von Diemensland und von Neu-Holland gleich fremd iſt.
Dagegen gibt es in den Südgegenden wenig Stellen, auf welchen ſo viele nützliche Thiere leben. Hr. Leſneur und ich haben daſelbſt eine Menge Gattungen geſammelt, die Europa nicht kennt, und unter welchen ſich zwey zierliche Daſpurus, zwey Känguruhe, das ſonderbare Thier, welches die Einwohner von Neu-Holland unter dem Namen Wombat kennen, und das noch viel außerordentlichere vierfüßige Thier, welches ich unter dem Namen Ehidné soyeux beſchrieben habe.
Alle Geſtade der Jnſel ſind mit einer ungeheuern Menge von Amphibien bedeckt, von welchen einige nicht weniger als 8 bis 10 Meter (25 bis 30 Fuß) lang, und welche für die Engländer die Quelle eines intereſſanten Handels ge - worden ſind.
Jn dem Jnnern der Wälder halten ſich Kaſuare in großer Menge auf; an den Elephantenfelſen leben ungeheuer viele Sturmvögel, Möwen (Ma[uves]) und Fettgänſe, wovon mehrere Gattungen für die[Nat]urforſcher neu waren; end - lich fanden ſich auch die meiſten Vögel von Diemensland auf dieſen nebligen Geſtaden.
Die Familie der Reptilien hat mir nicht mehr als zwey Gattungen von Eidechſen und zwey Schlangen geliefert: dieſe letztern ſind mit dem Geſchlechte Boa in Anſehung der Schuppen verwandt, und waren beyde mit giftigen Fang - zähnen bewaffnet. Jch habe mir auch eine neue Gattung von Kröten verſchafft, die einzige, die ich ſowol auf Die - mensland, als in der Meerenge Baß, finden konnte.
Beſonders an Molluſken, an Würmern und an Zoophy - ten gewährt die Jnſel King dem Beobachter gewiſſermaßen unerſchöpfliche Schätze: in der That, ungeachtet der defti - gen Stürme, welche in dieſen Gegenden während unſers Aufenthalts daſelbſt herrſchten, war ich doch ſo glücklich, mir dort mehr als hundert und achtzig unbekannte Gattun -267gen aus dieſen drey Klaſſen des Thierreiches zu verſchaffen. Unter dieſem großen Haufen von Thieren zeichneten ſich viele ſchätzbare Schalthiere, dreißig bis vierzig Gattungen von Sauge-Schwämmen, von Antipathen, von Gorgonien, von Celieporen, von Reteporen ꝛc. mehrere Meerneſſeln, ſon - derbare Aſcidien, zehn bis zwölf Holothurien, ſchöne Do - ris, zierliche Amphitriten, mehrere Aphroditen (Seerau - pen), Nereiden, und Planarien ꝛc. aus. Der außerordent - liche Ueberfluß an dieſen Thieren hängt mit dem Ueber - fluſſe an Tangen und Seepflanzen zuſammen, unter wel - chen dieſe gallertartigen Stämme ihre Nahrung und ihre Freyſtätte ſuchen. (Der Beſchluß folgt.)
(Beſchluß.)
Wenn man die eben erwähnten zoologiſchen Produkte in Rückſicht auf den Unterhalt des Menſchen betrachtet, ſo findet man, daß ſie zahlreiche und wichtige Vortheile ge - währen. Die Känguruhe der Jnſel King haben ein zarteres und ſchmackhafteres Fleiſch, als die Thiere von eben dieſem Geſchlechte, welche auf dem nahen feſten Lande verbreitet ſind. Schon iſt der Wombat von den engliſchen Fiſchern in den Hausſtand verſetzt; den Tag über ſucht er die Nahrung, deren er bedarf, in den Wäldern, und des Abends kommt er wieder in die Hütte, die ihm zum Aufenthalte dient. Er iſt ein ſanftes und dummes Thier, und ſchätzbar wegen ſeines köſtlichen Fleiſches, welches uns vorzüglicher geſchie - nen hat, als das Fleiſch von allen andern Thieren dieſer Gegenden. Die Zunge der ungeheuern Seehunde wird vonden Fiſchern für ein gutes Eſſen gehalten. Der mächtige, 16 bis 22 Decimeter hohe, Kaſuar gibt Eier ſo groß als die Strauſſen-Eier, und zarter als dieſe letztern: das Fleiſch dieſes Vogels vom Südpole hält gleichſam das Mittel zwi - ſchen dem Fleiſche des Truthahns und des jungen Schweins, und iſt wahrhaft vortrefflich. Die unzähligen Haufen von Seeraben, von Sturmvögeln, von Möwen und von Fett - gänſen, die ſich auf dem See-Elephanten-Felſen, und auf der Jnſel, zu welcher er gehört, aufhalten, gewähren, einen Theil des Jahres über, Eier zu Tauſenden, und dieſe ſind faſt eben ſo gut, als die von unſern Haushühnern. Endlich machen die verſchiedenen Cruſtaceen und die Schalthiere, von welchen es in dieſen Gegenden wimmelt, den ganzen Reich - thum an Hülfsmitteln vollſtändig, welche die Natur hier dem Menſchen darbietet.
Hiermit habe ich die allgemeine Schilderung der Jnſel King in Kürze entworfen; nun müſſen auch die umſtändli - chen Nachrichten von unſern Arbeiten und von unſern Ge - fahren mitgetheilt werden. Jch habe bereits erzählt, daß die Naturforſcher, am 10ten Abends, abgereiſet waren, um ihren Aufenthalt in dem Hintergrunde der Elephanten - Bay zu nehmen. Dieſe Bay iſt an der öſtlichen Kuſte der Jnſel, hat eine Oeffnung von nicht mehr als zwey Meilen, und endigt ſich in Süden mit der Landſpitze Plumier, in Norden mit der Landſpitze Cowper. Sie iſt bey weitem nicht ſo tief, als die ihr gegenüber liegende Hayenbay, und hat den ſchätzbaren Vortheil, daß ſie vor den Weſtwin - den mehr geſichert iſt; aber ſie iſt doch nicht viel weniger gefährlich: was wir ſogleich ſagen werden, wird dieſes hin - länglich beweiſen. Der ganze Hintergrund dieſer Bay war, als wir daſelbſt landeten, mit See-Elephanten bedeckt, wel - che ſich durch ihre braune Farbe auf dem weißlichen Sand - Ufer ſtark auszeichneten, und von fern lauter große ſchwarze Steine zu ſeyn ſchienen. Bey unſerm Anblicke flohen einige von dieſen Thieren unter gräßlichem Brüllen davon; andre hingegen blieben unbeweglich auf dem Sande, und ſahen uns gleichgültig und gelaſſen an.
Kaum fingen wir an unſre Zelte aufzuſchlagen, als wir ſechs engliſche Fiſcher erſcheinen ſahen, welche uns auf die verbindlichſte Weiſe ihre Dienſte anboten; unter dieſen waren zwey, wegen politiſcher Meinungen verbannte und zu dem elendeſten Zuſtande verurtheilte, Jrländer. Von dem Oberhaupte dieſer Fiſcher, Namens Cowper, hör - ten wir, daß er ſich mit zehn Mann ſeit dreizehn Monaten auf der Jnſel aufhalte, um Seethiere zu fangen, um von ihrem Thran und Pelzwerke die Ladung einiger nach Sina beſtimmten Schiffe zuzurüſten; daß er dieſe Schiffe mit de - ſto größerer Ungedult erwarte, da die Tonnen, die man ihm übergeben habe, längſt alle gefüllt ſeyen, und er ſich zu ei - ner, für ihn ſehr nachtheiligen, Unthätigkeit gezwungen ſehe.
Am 12 December, gegen 3 Uhr Nachmittags, ſahen wir, nach einem ungeſtümen Winde aus Südweſten, den271Geographen unter Segel gehen, und ſich ſchnell von ſei - nem Ankerplatze entfernen; dieſes Schiff hatte eben einen von ſeinen großen Ankern verloren, deſſen Kabeltau durch die Felſen abgeſchnitten worden war.
Jndem wir uns noch mit den engliſchen Officieren unter - hielten, ſahen wir den Geographen wieder erſcheinen; er warf bald Anker, aber an einer andern Stelle, als vor - her. Unſre Lebensmittel waren erſchöpft; wir warteten mit großer Ungedult auf andre, als wir ein Fahrzeug ge - wahr wurden, das von dem Schiffe abſtieß, und ſeinen Lauf nach unſern Zelten nahm. Wir glaubten Alle, es bringe uns die Lebensmittel, die wir, wie man am Bord des Geographen wohl wußte, dringend nöthig hatten: wir betrogen uns … Der Kommandant, welcher auf dem Lande ſpazieren gehen wollte, hatte die Lebensmittel, welche der Aufſeher über unſern Tiſch, Hr. Lharidon, für uns beſtimmt hatte, nicht in ſein Boot bringen laſſen wollen: eine ſolche Gleichgültigkeit kränkte uns um ſo mehr, da die Beſchaffenheit des Himmels einen heftigen und na - hen Sturm ankündigte; er brach in der Nacht aus und der Geograph, nachdem er abermal ſeine Anker verlo - ren hatte, war genöthigt, aufs Neue unter Segel zu ge - hen, um ſich, in der Finſterniß, gegen die Meerenge-Baß zu flüchten. Jndem man ſo unter Segel ging, hatten wir das Unglück, unſre Schaluppe zu verlieren, welche in dem Augenblicke, wo das Kabeltau abgeſchnitten wurde, bugſirt wurde, in Stücke zerbrach, und unterſank, ehe es mög - lich geweſen war, ſie wieder an Bord zu nehmen. Zu glei - cher Zeit wurden der Träger der Ruderpinne, und die Schülpen des Steuerruders der Corvette von der Gewalt der Wogen zertrümmert. Der Himmel war ſchwarz, mit dicken Wolken behangen; der Regen fiel in Strömen herab, und die Stoßwinde von Weſt-Süd-Weſt waren ſo unge - ſtüm, daß man alle Segel ſtreichen, und blos mit dem Vorſtagſegel, dem großen Stagſegel und dem Beſanſegel beylegen mußte.
Während daß unſer Schiff ſoviel von dem Sturme aus - zuſtehen hatte, und unter den Riffen und kleinen Eilanden der Meerenge umher irrte, wurde unſre eigne Lage mit jedem Augenblicke bedenklicher. Das Zelt, unter welchem wir, die Herrn Leſchenault, Leſueur und ich, wohn - ten, war von den Windſtößen in Stücke zerriſſen und um - geſtürzt, und konnte uns nicht mehr vor den Regengüſſen ſchützen, welche Tag und Nacht auf uns eindrangen; aber dieſe Unannehmlichkeit war Nichts in Vergleichung mit dem Hunger, der uns drückte. Die Wogen brachen ſich längs des flachen Sandufers ſo ungeſtüm, daß es unmög - lich geweſen wäre, daſelbſt Schalthiere zu ſuchen, von wel - chen wir hätten leben können. Alle Thiere hatten ſich in ihre Lager zurückgezogen, um ſich den Regenſtrömen zu ent - ziehen, welche vom Himmel fielen, und es fehlte uns an den nöthigen Mitteln, ſie dorthin zu verfolgen. Wir hat -ten gar nichts mehr von Vorrath übrig, und, zu unſerer noch größern Pein, enthielt das Waſſer des Baches, neben welchem unſre Zelten aufgeſchlagen waren, Eiſen-Oxyd in einem ſehr ſtarken Verhältniſſe, und verdoppelte bey uns allen den quälenden Appetit. … Da hatten wir den engliſchen Fiſchern unſre Rettung zu verdanken; und ohne den großmuthigen Beyſtand, den ſie uns leiſteten, wären wir unfehlbar die Opfer der Unvorſichtigkeit oder der Gleich - gültigkeit unſers Kommandanten geworden.
Dieſe Fiſcher hatten ihre Wohnung auf dem Gipfel ei - nes Hugels, an der nördlichen Spitze der Elephantenbay, ungefähr ſechs Meilen von unſern Zelten, aufgeſchlagen; ſie beſtand in vier Häuschen oder Hütten, welche aus Stücken Holz gebaut waren, die man in die Erde einge - ſchlagen, und gegen oben im Winkel zuſammen gefügt hatte; die Zwiſchenräume zwiſchen den Stücken Holz waren mit einigen plumpen Rinden verſchloſſen. Der Anführer dieſer Fiſcher, der gute Cowper, hatte eines von dieſen trau - rigen Plätzchen inne, ſamt einer Frau von den Sandwich - Jnſeln; die er von Mowée mitgebracht hatte, und die bey ihm die Stelle der Frau und der erſten Haushälterinn ver - trat; in eben dieſer Hütte fanden ſich auch die vorzüglich - ſten gemeinſchaftlichen Vorräthe, beſonders an ſtarken Ge - tränken, beyſammen. Zu den andern Häuschen wohnten die übrigen Fiſcher. Ein großer Gluthaufen wurde Tag und Nacht von dicken Baumſtämmen unterhalten, und diente zu gleicher Zeit die Menſchen zu wärmen, und ihre Speiſen zu kochen. Ein großer Schoppen in der Nähe ent - hielt eine ungeheure Menge großer, mit Thran gefüllter, Fäſſer, wie auch mehrere tauſend getrocknete, und zur Ab - ſchickung nach Sina zugerichtete Seehunds-Häute. Zur Seite ſah man eine Art von Fleiſcherhaken, an welchem fünf bis ſechs Kaſuare, eben ſo viel Känguruhe und zwey große Wombate hingen. Ein großer Keſſel mit Fleiſch von der nämlichen Gattung war eben vom Feuer genommen worden, und verbreitete einen angenehmen Geruch.
Kaum erſchienen wir unter dieſen Fiſchern, ſo überhäuf - ten uns dieſe guten Leute mit Beweiſen von Theilnahme und Wohlwollen; ihr Oberhaupt führte uns in ſeine be - reicherte Wohnung, und hier ließ er uns, auf einer Art von Tiſchgeſtelle, eine Mahlzeit auftragen, die wir für vor - trefflich hielten. Dieſe Maſſen von verſchiedenem, wirklich köſtlichem, in ſeinem Safte gekochtem Fleiſche gewährte eine ſchmackhafte Nahrung, obſchon man es übrigens ohne Brot, ohne Zwieback und ohne irgend eine andre ähnliche Subſtanz eſſen mußte. Eine ſolche Lebensart, ſo ſonderbar ſie Anfangs ſcheinen mag, iſt nichts deſto weniger ohne Zweifel geſund; denn alle Fiſcher genoſſen der ſtärkſten Ge - ſundheit, ungeachtet der Beſchwerlichkeiten, welche ſie aus - ſtehen mußten, ungeachtet der feuchten und kalten Tempe - ratur der Jnſel, die ſie bewohnten, und der verdorbenen Luft, welche ſie in ihren Hütten einathmeten.
272Die Fiſcher bedienen ſich eines eben ſo einfachen als wohl - feilen Mittels, ſich die ungeheure Menge Fleiſch zu verſchaf - fen, die ſie verzehren. Auf den unbewohnten Jnſeln, von welchen hier die Rede iſt, haben ſich die verſchiedenen Thier - gattungen, welche die Natur dahin geſetzt hat, ſeit Jahr - hunderten ungeſtört vermehren und anhäufen können; auch zählt jede dieſer Gattungen daſelbſt zahlreiche Stämme: die wichtigſten ſind auf der Jnſel King die Känguruhe und die Kaſuare, die beyde ſehr ſchnell laufen können, und die Wombate, welche weder fliehen, noch ſich vertheidigen können. Jede Art von Jagd iſt hinreichend, um ſich dieſe letztern zu verſchaffen; was die Kaſuare und die Känguruhe betrifft, ſo haben die Fiſcher, um ihnen beyzukommen, Hunde abgerichtet, welche allein die Wälder durchſtreichen, und, mit ſeltenen Ausnahmen, täglich mehrere von dieſen Thieren erwürgen; wenn die Streiferey zu Ende iſt, ſo laſſen die Hunde ihre Beute liegen, kommen zu ihren Herren gelaufen, und melden durch unzweydeutige Zeichen den Erfolg ihrer Jagd. Einige Mann brechen dann auf, geben dieſen verſtändigen Lieferanten nach, die, ohne zu irren, ſie an die Oerter führen, wo ihre Schlachtopfer liegen. Mit einem einzi - gen von jenen Jagdhunden fingen wir in einigen Tagen eine ſo große Menge großer Känguruhe, daß wir es für wahr - ſcheinlich hielten, daß eine kleine Anzahl ſolcher Hunde, die man auf der Jnſel lieſſe, hinreichen würde, das ganze Geſchlecht dieſer unſchädlichen Thiere auszurotten.
Dieſe Leichtigkeit, womit die engliſchen Fiſcher ſich die nöthigen Lebensmittel verſchaffen können, macht den Han - del, der ſie beſchäftigt, viel wichtiger. Mit einigen ge - ringen Vorräthen von geſalzenem Fleiſche, von Mehl oder von Zwieback, um gegen unvorgeſehene Zufälle geſchützt zu ſeyn, können dieſe Menſchen ſich ganze Jahre lang erhal - ten, ohne denen, von welchen ſie ausgeſchickt werden, et - was zu koſten. Die meiſten von ihnen wenden auch nicht viel für Kleidung auf; denn ſie geben den Häuten von Känguruhen und Seehunden einige kunſtloſe, einfache Be - reitung, und wiſſen dann ſich Kleider daraus zu machen. Alle dieſe Umſtände, ſo kleinlich ſie ſcheinen mögen, hän - gen doch weſentlich mit der Geſchichte der engliſchen Fi - ſchereyen in den Südgegenden zuſammen; dergleichen ſpar - ſame Einrichtungen haben an dem ungeheuern Gewinn, wel - chen die brittiſchen Seefahrer von ihren Fahrten nach dieſen fernen Geſtaden ziehen, gewiß auch ihren Antheil.
Jndeſſen erſchien der Geograph nicht wieder, obſchon der Sturm ſeit zwey Tagen aufgehört hatte; und unſre Beſorgniſſe über das Schickſal dieſes Schiffes wurden um ſo heftiger, je beſſer wir alle Gefahren der Meerenge Baß kannten. Ueberdies hatten die Engländer, welche bis jetzt ſo ſorgfältig für unſern Unterhalt geſorgt hatten, eben einen von ihren Hunden verloren, der ſich in den Wäldern verlaufen hatte; und da wenige Tage vor unſerer Ankunft ein anderer Hund von dieſer Gattung in fünf Minuten an dem giftigen Biſſe einer dreyeckigen Schlange geſtor - ben war, ſo war nur noch ein einziger übrig, um die ge - meinſchaftliche Verproviantirung zu beſorgen. Jndem der gute Cowper uns dieſe traurige Nachricht meldete, ver -ſprach er uns höflicher Weiſe, Alles für uns aufzubehal - ten, was ihm an ſeiner eigenen und ſeiner Leute Portion abzubrechen möglich wäre; aber er verbarg uns ſeine Be - ſorgniſſe über unſer künftiges Schickſal nicht, auf den Fall, daß unſer Schiff gar nicht wieder erſcheinen würde. …
Damals beſonders fühlten wir peinlicher, als jemals alle ſchlimme Folgen der elenden Hartnäckigkeit, womit unſer Kommandant den Mannſchaften, die er zum Aufenthalte auf dem feſten Lande ausſchickte, Waffen und Munition verweigerte.
Glücklicher Weiſe verließ das günſtige Geſchick, das uns während der Reiſe ſo oft gedient hatte, uns auch in dieſer letzten Noth nicht; der Geograph kam am 23ten Abends wieder zum Vorſchein, und am Morgen des andern Tages machte ein Boot, welches abgefertigt wurde, um uns ab - zuholen, unſerer Angſt und unſern bangen Beſorgniſſen ein Ende.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Die Insel King. Alexander von Humboldt. . 3+3 S. 1810. Morgenblatt für gebildete Stände (67) pp. 265-267, 270-272.
Fraktur
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