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Neue Berliniſche Monatſchrift.
Neunter Band: Jaͤnner bis Junius 1803.
Berlin und Stettin,bei Friedrich Nicolai.

Neue Berliniſche Monatſchrift Oktober 1803.

I. Briefe des Herrn Oberbergraths von Humboldt.

Den juͤngſten Brief unſers beruͤhmten Lands - mannes Alexander von Humboldt, aus Lima d. 25 November 1802 an ſeinen Herrn Bruder ge - richtet, hat das Publikum im Julius - und Au - guſtheft dieſer Monatſchrift geleſen. An dem - ſelben Tage hat aber Hr von H. auch nach Paris an Hrn Delambre, einen der beſtaͤndigen Sekretaͤre des Nazional-Jnſtituts der Wiſſen - ſchaften, geſchrieben. Dies Schreiben iſt in dem juͤngſten Heft der hier zu wenig bekannten Annales du Muséum national d'Histoire naturelle (S. 170 folgg. ) abgedruckt. Es be - ruͤhrt viele Gegenſtaͤnde, von welchen in dem zuerſt erwaͤhnten Schreiben durchaus nichts vor - koͤmmt. Es liefert die anſchaulichſten Beweiſe nicht allein von der beharrlichen raſtloſen Thaͤ - tigkeit des Hrn von H., ſondern auch von der uͤberaus großen Mannichfaltigkeit der Objekte,Neue B. Monatſchr. 10r Bd. Q242Oktober 1803.welche dieſer Reiſende ſeiner Pruͤfung hat un - terwerfen koͤnnen; und dient dabei zur vollen Ueberzeugung, wie wenig es die Schuld des Hrn von H. war, daß ſeine beabſichtigte Ver - einigung mit der Expedizion des Kapitaͤns Bau - din unterblieb. Jn dieſer Hinſicht habe ich, dem Wunſche des Hrn Herausgebers dieſer Monat - ſchrift zufolge, fuͤr ihre Leſer eine Ueberſetzung des Briefes entworfen, und durch einige Anmer - kungen*)Dieſe Anmerkungen des Hrn G. O. B. Raths Karſten ſind mit den Buchſtaben des lateini - ſchen Alphabets bezeichnet, zur Unterſcheidung der paar kleinen von mir hinzugefuͤgten. Jch habe dieſe nicht mit Nachweiſungen auf den angefuͤhrten letzten Brief, Julius Nr 5 und Auguſt Nr 1, und die dort befindlichen Anmer - kungen, vermehren wollen, weil dieſe Hefte noch wohl den Leſern im Gedaͤchtniß oder nahe zur Hand ſind. B. zur allgemeinern Verſtaͤndlichkeit deſſel - ben beizutragen geſucht.

Berlin, d. 23 Auguſt 1803. Karſten.

An Hrn Delambre in Paris.

Jch komme aus dem Jnnern des Landes, mein verehrungswerther Freund, wo ich auf einer großen Ebene Verſuche uͤber die kleinen ſtuͤnd -2431. A. v. Humboldt.lichen Abweichungen der Magnetnadela)Die Magnetnadel dreht ſich bekanntlich, frei und wagerecht aufgehaͤngt, von ſelbſt ſo, daß ihre eine Spitze nach Mitternacht, die andere entgegengeſetzte nach Mittag zeigt. Dies ge - ſchieht aber nicht ganz genau, ſondern mit eini - ger Abweichung nach Morgen und Abend, in den mehreſten Laͤndern. Nur vom Weißen Meere an, geht durch (Aſien) das ſuͤdliche Sina und die Philippinen eine Linie wo die Magnet - nadel genau den Nord - und Suͤdpunkt angiebt. Jndeß hat man anderwaͤrts gefunden, daß die Abweichung nicht nur auf den verſchiednen Punkten der Erde verſchieden, ſondern daß ſie auch ſelbſt an einerlei Beobachtungsorte zu verſchiedenen Zeiten, und oft ſogar ſtuͤndlich, veraͤnderlich iſt. Fuͤr die Seefahrer iſt es ſehr wichtig, das Geſetz der Abweichung genau zu erforſchen; und deshalb ſind in Paris ſchon ſeit dem J. 1550 Beobachtungen daruͤber an - geſtellt. ange - ſtellt habe, und hoͤre leider daß die Fregatte As - tigarraga, welche erſt in 14 Tagen von hier gehen wollte, ihre Abfahrt ſo beſchleunigt, daß ſie ſchon in dieſer Nacht unter Segel zu gehn gedenkt. Dies iſt die erſte Gelegenheit welche wir, in dem einſamen Suͤdmeer, ſeit fuͤnf Monaten nach Europa haben; aber Mangel an Zeit machtQ 2244Oktober 1803.es mir unmoͤglich, an das Nazional-Jnstitut, meiner Pflicht gemaͤß, zu ſchreiben, da ich von Demſelben mit den ruͤhrendsten Beweiſen ſeines Antheils und ſeines Wohlwollens beehrt worden bin. Wenige Tage vor meiner Abreiſe von Quito nach Jaen und dem Amazonenfluſſe, empfing ich das Schreiben vom 2 Pluvioſe des J. 9, welches dieſe beruͤhmte Sozietaͤt, durch Jhre Fe - der, an mich erlaſſen hat. Dieſer Brief iſt zwei Jahre unterwegs geweſen, eh er mich in den Kordilleren angetroffen hat. Jch erhielt ihn am Tage nach meiner Zuruͤckkunft von einer zwei - ten Expedizion, die ich nach dem Pichincha ge - macht hatte, um ein Voltaiſches Elektrometer dort mit hinzunehmen, und den Krater dieſes Berges zu meſſen, deſſen Diameter ich 752 Toi - ſen fand, und folglich mehr denn doppelt ſo groß als den nur 312 Toiſen weiten Krater des[Ve - ſuvs]. Hiebei fiel mir ein, daß La Condamine und Bouguer auf dem Gipfel des Guagua - Pichincha, wo ich oft geweſen bin, und den ich als klaſſiſchen Boden liebe, ihren erſten Brief von der vormaligen Akademie erhielten; daher ich mir vorſtelle daß den Phyſikern si ma - gna licet componere parvisb) Wenn ich mich mit jenen großen Maͤnnern vergleichen darf : iſt hier der Sinn dieſes ein gluͤck -2451. A. v. Humboldt.licher Stern auf dem Pichincha ſtralt. Wie soll ich Jhnen die Freude ausdruͤcken, mit wel - cher ich dies Schreiben des N. J. und die wie - derholten Verſicherungen Jhres Andenkens ge - leſen habe? Wie ſuͤß iſt das Bewußtſein, daß man denen im Gedaͤchtniß schwebt, deren Arbei - ten unaufhoͤrlich die Fortſchritte des menſchlichen Geiſtes beſchleunigen! Jn den wuͤſten Ebenen des Apurec)Auf dieſem kleinen Fluſſe ſchifte Hr von H. ſich zur Expedizion nach dem Orinoko ein. Man ſ. 1802 Junius S. 441. , in den dicken Waͤldern des Kaſi - guiara und Orinokod)Aus der Anmerkung des aͤlteren Hrn von Hum - boldt (S. 454 am ang. Ort dieſer Monatſchr. ) wird man ſich erinnern, daß der Kaſiguiara den Orinoko mit dem Schwarzen Fluß (Rio ne - gro) verbindet, und letzterer in den Amazonen - fluß faͤllt. Dieſe bedeutende, und neuerlich beſtrittene, Waſſerkommunikazion iſt auf der 1785 bei Zatta in Venedig verlegten Karte von Tierra Firme ſehr anſchaulich zu ſehen. : uͤberall ſind Jhre Na - men mir gegenwaͤrtig geweſen; und wenn ich die verſchiedenen Epochen meines unſtaͤten Lebens durchlief, ſo weilte ich genußvoll bei dem Jahreb)zum Sprichwort gewordenen Virgiliſchen Halb - verſes. 246Oktober 1803.6 und 7, wo ich mitten unter Jhnen lebte, wo die Laplace, Fourcroy, Bauquelin, Guyton, Chaptal, Juſſieu, Desfontaines, Hallé, Lalande, Prony, und vorzuͤglich Sie, mein edler und ge - fuͤhlvoller Freund, mich in den Ebenen von Li - eurſaint*)Dies iſt der[Name] eines in der Naͤhe von Paris, auf dem Wege nach Melun, liegenden Dorfes, wo Hr Delambre wahrſcheinlich einen Sommerwohnſitz hatte. mit Guͤte uͤberhaͤuften. Empfangen Sie insgeſammt die Verſicherung meiner inni - gen Anhaͤnglichkeit, und meiner fortdaurenden Erkenntlichkeit.

Lange vor Ankunft Jhres erwaͤhnten Schrei - bens, habe ich nach und nach drei Briefe an die phyſikaliſche und mathematiſche Klaſſe des Jn - stituts abgeſendet. Zwei davon ſchrieb ich zu Santa de Bogota, und fuͤgte eine Arbeit uͤber die Cinchonae)Saͤmmtliche Arten dieſer Pflanzengattung lie - fern die allgemein bekannte Fieber-Rinde. bei: nehmlich Proben der Rinde von 7 Arten, illuminirte Zeichnungen von dieſen Pflanzen, und Zergliederungen ihrer in der Laͤnge der Staubfaͤden ſo abweichenden Bluͤthen auch ſorgfaͤltig aufgetrocknete Exem - plare. Doktor Mutis, welcher mir tauſend Freund - ſchaftsdienſte erzeigt hat, und dem zu Liebe ich2471. A. v. Humboldt.40 Tage lang den Flußf)Den Magdalenenfluß, welcher oberhalb Santa entſpringt, und ſich in den Mexikaniſchen Meerbuſen ergießt. hinauf gefahren bin, hat mir an hundert praͤchtige Zeichnungen in Folio, von neuen Gattungen und Arten, aus ſeiner ungedruckten Flora von Bogota zum Ge - ſchenk gemacht. Jch glaube, dieſe fuͤr die Bo - tanik eben ſo intereſſante, als in Anſehung der Schoͤnheit der Farben merkwuͤrdige*)Vielleicht iſt hier, ſchon wegen des Namens Doktor, und der Erwaͤhnung der vortreflichen Malerei, der juͤngere Matis, nicht der ehrwuͤr - dige Greis Mutis, gemeint. Das Original hat mehr unrichtige Lesarten, wie bei Fran - zoſen in auslaͤndiſchen Namen gewoͤhnlich iſt. Von dem Botaniker Matis redet Hr von H. auch in ſeinem zweiten ſpaͤteren Briefe, der hinten folgt. Samm - lung koͤnne in keinen beſſeren, als in den Haͤn - den eines Juſſieu Lamark und Desfontaines ſein; daher ich ſie dem Nazionalinſtitut als ein gerin - ges Merkmaal meiner Ergebenheit uͤberſandt habe. Sie iſt mit den Cinchona-Arten gegen den Juni dieſes Jahres nach Kartagena (de las Jndias) abgegangen, und Dr Mutis ſelbſt hat die Be - foͤrderung nach Paris beſorgt. Ein dritter an248Oktober 1803.das Jnstitut gerichteter Brief iſt, von Quito aus, mit einer geologiſchen Sammlung der Stein - arten vom Pichincha Kotopari und Tſchimboraſſo abgeſchickt worden. Wie betruͤbt iſt es, daß wir uͤber die Ankunft dieſer Sendungen in einer eben ſo traurigen Ungewißheit bleiben als uͤber‘ die Sammlungen von ſeltenen Saͤmereien, wel - che wir vor 3 Jahren dem Jardin de Plan - tesg)Jch moͤgte dieſen Ausdruck hier lieber wie ein nomen proprium ſtehen lassen, als ihn durch Botanischen Garten uͤberſetzen; weil ſich in demselben das ganze große Jnstitut fuͤr alle Reiche der Naturgeschichte befindet. Urſpruͤng - lich war es bloß dem Pflanzenſtudium gewid - met. in Paris uͤbermacht haben.

Die wenige Muße welche mir heut uͤbrig bleibt, geſtattet mir nicht Jhnen eine Schilde - rung meiner Reiſen und Beſchaͤftigungen, ſeit wir den Schwarzen Fluß verlaſſen haben, zu ent - werfen. Sie wiſſen, daß wir auf Havanah die falſche Nachricht der Abfahrt des Kapitaͤns Bau - din nach Buenos Ayresh)Er hatte bekanntlich Hrn von H. zu Akapulko an der Suͤdſeekuͤſte aufnehmen wollen. erhielten. Jch habe des geleiſteten Verſprechens, mich mit ihm wo ich nur koͤnnte zu vereinigen, eingedenk, und in2491. A. v. Humboldt.der Überzeugung, daß es nuͤtzlicher fuͤr die Wiſ - ſenschaf[t]en ſein wuͤrde, wenn ich den Arbeiten der Naturkundigen, welche im Gefolge des Kap. Baudin reiſen, die meinigen zugeſellte, keinen Augenblick angeſtanden: ich gab den kleinen Ruhm auf, eine eigene Expedizion zu beendigen, und miethete ſogleich ein Fahrzeug zu Baraban um nach Kartagena zu ſegeln. Dieſe kurze Fahrt ward durch Stuͤrme uͤber einen Monat verlaͤn - gert; in der Suͤdſee, wo ich den Kap. Baudin zu finden rechnen konnte, war die Zeit der be - ſtimmten Winde (brises) vorbei, und ich un - ternahm die muͤhſelige Reiſe uͤber Honda Jba - gua, das Gebirge Quindin*)Wir laſen dieſen Namen in den hieher gekom - menen Briefen Quiridin. ri und u kann leicht mit n verwechſelt werden. ; Popayan, und Paſtos, nach Quito. Meine Geſundheit wider - ſtand fortdaurend auf bewundernswuͤrdige Weiſe dem Wechſel der Temperatur, welchem man auf dieſem Wege ausgeſetzt iſt, da man taͤglich von Schneefeldern die 2460 Toiſen uͤber das Meer erhaben ſind, in brennende Thaͤler hinabſteigt, wo das Reaumurſche Thermometer nicht unter 26 oder 24 Grade faͤllt. Mein Reiſegefaͤhrte Bompland, durch deſſen Kenntniſſe, Unerſchrok - kenheit, und außerordentliche Thaͤtigkeit, mir250Oktober 1803.in den Unterſuchungen der Botanik und der ver - gleichenden Anatomie die groͤßte Huͤlfe zu Theil geworden iſt, hat zwei Monate lang am drei - taͤgigen Fieber gelitten. Die Regenzeit uͤberfiel uns an einer ſehr kritiſchen Stelle, auf dem Plateau von Paſtos; und nach einer achtmo - natlichen Reiſe, erfuhren wir bei der Ankunft in Quito, daß Kapitaͤn Baudin ſeinen Weg von Weſten nach Oſten uͤber das Vorgebirge der gu - ten Hofnung genommen habe. An Unfaͤlle ge - woͤhnt, fanden wir Troſt in dem Gedanken, daß wir, um des Guten willen, ſo große aAuf - opferungen gemacht hatten. Sahen wir auf un - ſre Herbarien, unſere barometriſchen und geo - detiſchen Meſſungen, auf unſre Zeichnungen, und die mit der Luft der Kordilleren angeſtellten Versuche, ſo brauchen wir es nicht zu bedauren, daß wir einen Erdſtrich durchwandert hatten, welcher groͤßtentheils zuvor nie von Naturkun - digern betreten ward. Wir fuͤhlten, daß der Mensch nur auf das rechnen darf, was er durch ſeine eigene Ergergie bewirkt.

Die Provinz Quito, die hoͤchſte Gebirgs - ebene unſeres Erdballs, welche durch die große Kataſtrophe vom 4 Februar 1797 zerwuͤhlt wor - den iſt, bot uns ein weites Feld zu phyſiſchen Beobachtungen dar. Dort haben die ungeheu -2511. A. v. Humboldt.ren Volkane, deren Flammen oft 500 Toiſen hoch emporlodern, nie einen Tropfen fließender Lava hervorzubringen vermogt; Waſſer, geſchwe - feltes Waſſerſtofgas, Schlamm, und kohlenſaure Thonerdei)Von dieſer zuletzt erwaͤhnten Mischung hat noch kein Beobachter brennender Volkane et - was angefuͤhrt. , ſpeien ſie aus. Seit 1797 iſt die - ſer ganze Welttheil in Bewegung: alle Augen - blicke erleiden wir fuͤrchterliche Erſchuͤtterungen; und das unterirdiſche Getoͤſe in den Ebenen von Riobamba iſt als wenn ein Berg unter un - ſern Fuͤßen einſtuͤrzte. Die atmoſphaͤriſche Luft, und die mit Feuchtigkeit angeſchwaͤngerten Erd - arten (alle dieſe Volkane befinden ſich in einem verwitterten Porphyr), ſcheinen die großen Werk - zeuge dieſer Verbrennungen und unterirdiſchen Gaͤhrungen zu ſein.

Bis itzt glaubte man zu Quito, daß der Mensch nicht weiter als bis zu einer Hoͤhe von 2470 Toiſen in der verduͤnnten Luft ausdauren koͤnne. Jm Maͤrz 1802 brachten wir einige Ta - ge in den großen Ebenen zu, welche den Vol - kan Antiſana 2107 Toiſen hoch umgeben, wo die Stiere, wenn man ſie jagt, haͤufig Blut auswerfen. Den 16 Maͤrz entdeckten wir einen Weg uͤber den Schnee: eine ſanfte Berglehne252Oktober 1803.auf welcher wir bis zu einer Hoͤhe von 2773 Toiſen hinanſtiegen. Hier enthielt die Luft $$\frac{8}{1000}$$ Kohlenſtofſaͤure,[ $$\frac{218}{1000}$$ ]Sauerſtof, und $$\frac{774}{1000}$$ Stickſtof. Das Reaumuͤrſche Thermometer ſtand auf 15 Grad; es war im mindeſten nicht kalt, aber das Blut drang uns aus den Augen und Lippen. Das Lokal erlaubte nirgend anders mit der Bordaiſchen Bouſſole zu experimentiren, als in einer tiefer liegenden Grotte, 2467 Toiſen uͤber dem Meer. Die magnetiſche Kraft ſtand hier in dem Verhaͤltniß von 230 zu 218 gegen die zu Quito bemerkte Jntenſitaͤt, war alſo weit ſtaͤrker; indeß darf man nicht vergeſſen, daß oft die Anzahl der Schwingungen (oscillations) zunimmt, wenn die Neigung (inclinaiſon) k)Eine ſtaͤhlerne zweiarmige genau gearbeitete Nadel wird, wenn ſie im Mittelpunkte durch - bohrt und daſelbst mittelſt einer Axe oder eines Zapfens aufgehaͤngt iſt, eine voͤllig wagerechte Stellung annehmen, ſobald ſie in Ruhe kommt. Jst sie aber nachher gleichfoͤrmig magnetiſirt, ſo verliert ſie ſcheinbar ihr Gleichgewicht: die eine Spitze erhebt ſich eben ſo viel uͤber die Ho - rizontalflaͤche, als ſich die entgegengeſetzte dar - unter ſenkt. Dies nennt man die Neigung der Magnetnadel. Sie wird nach Graden an einem Vertikalkreiſe, auf Borda's Jnstrument,2531. A. v. Humboldt.abnimmt, und daß die Jntenſitaͤt durch ſolche Gebirgsmaſſen verſtaͤrkt wird, wo der Porphyr auf den Magnet wirkt.

Bei der Beſteigung des Tſchimboraſſo, die wir den 23 Juni 1802 unternahmen, ergab ſich, daß mit ein wenig Geduld man eine noch groͤ - ßere Verduͤnnung der Luft ertragen kann. Wir kamen 500 Toiſen hoͤher als Condamine, der am Corazon*)Herz. Auszuſprechen: Koraßon. war; und trugen die Jnstru - mente zum Tſchimboraſſo 3031 Toiſen hoch1)Der eben erwaͤhnte Corazon reicht nur 2500 Toiſen uͤber die Meeresflaͤche. hinauf, wo das Barometer 13 Zoll 11 Linien und das Thermometer 1 $$\frac{3}{10}$$ Grad unter 0 zeigte. Die Lippen bluteten uns wiederum. Unſere Jn - dianer verließen uns, wie gewoͤhnlich. Der Buͤr - ger Bompland und Hr Montufar, ein Sohn des Markis de Selvalegre in Quito, blieben allein bei mir. Wir fuͤhlten alle ein Mißbeha -k)beſtimmt, und betraͤgt in der ſuͤdlichen Breite unweit des Aequators zwischen 20 und 30, in unſerer Gegend aber uͤber 70 Grade. Je un - ruhiger die Nadel iſt, deſto haͤufiger ſind die Schwingungen um ihre Axe in gleicher Zeit, deſto ſtaͤrker alſo die Jntensitaͤt der magnetiſchen Kraft, welche ſie belebt. 254Oktober 1803.gen, eine Schwaͤche, eine Neigung zum Erbre - chen: welches ſicher eben ſowohl dem Mangel an Sauerſtof in dieſer Region, als der Ver - duͤnnung der Luft zugeſchrieben werden muß. Letztere enthielt, auf dieſer ungeheuren Hoͤhe, nicht mehr als $$\frac{20}{100}$$ Sauerſtofm)Sonſt nimmt man, als eine Durchſchnittts - zahl, in der Atmosphaͤre $$\frac{27}{100}$$ Sauerſtofgas (Le - bensluft) und $$\frac{73}{100}$$ Stickſtofgas (Stickluft) an. (Gas). Eine graͤßliche Spalte verhinderte uns den Gipfel des Tſchimboraſſo ſelbst, der nur 236 Toiſen uͤber uns war, zu erklimmen. Sie wiſſen welche be - deutende Ungewißheit noch uͤber die Hoͤhe dieſes Koloſſen herrſcht. Condamine, welcher ihn nur von einem ſehr entfernten Standpunkte aus maß, giebt dieſe Hoͤhe auf 3220 Toiſen an; Don Geor - ge Juan hingegen beſtimmt ſie zu 3380 Toiſen, obwohl dieſer Unterſchied von der verſchiedenen Hoͤhe nicht hergeleitert werden kann, welche die erwaͤhnten Aſtronomen, in Anſehung des Sig - nals am Carabura, annehmen. Jch habe in der Ebene von Tapia eine Grundlinie (baſe) von 1702 Meternn)Jn runden Zahlen, betraͤgt ein Meter 4 Pa - riſer Fuß; ſchaͤrfer, 3 Fuß 11½ Linie. Die Toiſe hat bekanntlich 6 Pariſer Fuß. gemeſſen (Vergeben Sie daß ich bald von Toiſen bald von Metern ſpre -2551. A. v. Humboldt.che, je nachdem meine Jnstrumente ſie angeben. Sobald ich dieſe Beobachtungen oͤffentlich bekannt mache, wird Alles auf das Meter und den in hundert Grade abgetheilten Waͤrmemeſſer redu - zirt werden). Zwei geodetiſche Operazionen ga - ben mir die Hoͤhe des Tſchimboraſſo uͤber die Meeresflaͤche 3267 Toiſen; die Berechnung be - darf aber noch einer Berichtigung wegen des Ab - ſtandes des Sextanten vom kuͤnstlichen Hori - zonto)Der Sextant wird bei der Beobachtung uͤber den kuͤnſtlich geſtellten Horizont gehalten. Je groͤßer der Abſtand iſt, deſto groͤßer werden die Fehler welche beim Viſiren etwa begangen wor - den ſind; daher die Korrekzion noͤthig wird. und wegen anderer Nebenumſtaͤnde. Seit Condamine's Zeiten iſt der Volkan Tun - guragua um vieles niedriger geworden; ſtatt 2620 Toiſen finde ich ihn nur 2531 Toiſen hoch, und ich darf glauben, daß dieſe Differenz nicht von einem Fehler bei meiner Operazion herruͤhrt, weil die Resultate meiner Meſſungen des Kayam - ba, Antiſana, Kotopaxi, und Jliniza, mit den Angaben von la Condamine und Bouguer bis auf 10 oder 15 Toiſen uͤbereinſtimmen. Auch behaupten die Bewohner dieſer ungluͤcklichen Ge - genden, daß der Tunguragua ſichtbar niedriger geworden ſei. Den Kotopaxi hingegen, wel -256Oktober 1803.cher ſo heftige Exploſionen erlitten hat, finde ich noch eben ſo hoch als er 1744 geweſen iſt, oder vielmehr durch einen vermuthlich von mir begangnen Fehler noch etwas hoͤher. Der ſteinige Gipfel des Kotopaxi zeigt aber auch, daß es ein[Schornſtein] ist, der Widerstand zu leiſten und ſeine Geſtalt zu erhalten vermag.

Unſere vom Jaͤnner bis Julius in den An - den von Quito angeſtellten Beobachtungen ha - ben den Einwohnern die traurige Neuigkeit hin - terbracht, daß der Krater des Pichincha, wel - chen Condamine voll Schnee ſah, von neuem brennt; und daß der Tſchimboraſſo, den man ſo ruhig und unschuldig waͤhnte, zu den feuer - ſpeienden Bergen gehoͤrt hat, und ſich vielleicht in Zukunft wieder entzuͤnden wird. Wir haben in der Hoͤhe von 3031 Toiſen gebrannte Fels - ſtuͤcke und Bimſtein gefunden. Wehe dem menſch - lichen Geſchlecht, wenn dies unterirdiſche Feuer (denn man kann die ganze Gebirgsflaͤche von Quito als einen einzigen Volkan mit mehrern Gipfeln betrachten) ſich einſt durch den Tſchimbo - raſſo einen Ausgang verſchaffen ſollte! Man lie - ſet in vielen Buͤchern: dieſer Berg beſtehe aus Granit; aber davon giebt es dort nicht ein Atom. Es ist Porphyr, hie und da ſaͤulenfoͤr - mig, und mit eingemengtem glaſigen Feldſpath,Horn -2571. A. v. Humboldt.Hornblende, wie auch Olivin verſehen. Dies Porphyrlager iſt 1900 Toiſendick. Jch koͤnnte Jhnen bei dieſer Gelegenheit von einem pola - riſirenden Porphyr ſprechen, den wir bei Voi - ſako unweit Paſto entdeckt haben; welcher, wie der von mir im Journal de Physique beschrie - bene Serpentinſteinp)Hieruͤber giebt die zweite Anmerkung S. 67 des Juliusſtuͤcks dieſes Jahres der Monatſchr. Auskunft. , Pole, ohne Attrakzion hat. Jch koͤnnte Jhnen andere Thatſachen an - fuͤhren, welche das große Geſetz des Paralle - lismus der Felsſchichten und ihre ungeheure Dicke am Aequator betreffen; allein es uͤberſteigt die Graͤnze eines Briefes, der noch dazu vielleicht verloren geht. Ein andermal werde ich wieder darauf zuruͤckkommen. Nur ſoviel will ich noch hinzufuͤgen, daß wir außer den Elephantenzaͤh - nen, welche wir dem Buͤrger Euvier vom Pla - teau Sante her (1350 Toiſen hoch) zuge - ſchickt haben, noch ſchoͤnere fuͤr ihn aufbewah - ren. Einige ſind vom fleiſchfreſſenden Elephan - ten, andere gehoͤren zu einer Thier-Art die von dem Afrikanischen Elephantenq)Der Afrikaniſche Elephant unterſcheidet ſich auffallend von dem Aſiatiſchen (bekannteren) durch die rautenfoͤrmigen Leiſten an den Zaͤh - nur wenig ab -Neue B. Monatſchr. 10r Bd. R258Oktober 1803.weicht. Die Exemplare ſtammen aus dem Thale Timana, von der Stadt Jbarra, und aus Chili - her. Hier iſt alſo der Beweis von der Verbrei - tung dieſes fleiſchfreſſenden Ungeheuers, von dem Ohio oder dem 50 Grad Nordlicher Breite bis zum 35ſten Grade Suͤdl. Breite.

Jn Quito habe ich meine Zeit ſehr ange - nehm verlebt. Der Praͤſident der Regierung, Bavon von Corondelet, hat und mit Guͤte uͤber - haͤuft; und ſeit 3 jahren habe ich nicht ein ein - ziges mal Urſache gehabt, mich uͤber die Beamt - ten der Spaniſchen Regierung zu beklagen: viel - mehr bin ich uͤberall mit einer Feinheit und Auszeichnung behandelt worden, welche mich fuͤr immer zur Erkenntlichkeit verpflichtet. Wie Zei - ten und Sitten ſich geaͤndert haben! Jch habe mich viel mit den Pyramiden und ihrenq)nen. Bei dem Aſiatiſchen ſind dieſe wellen - foͤrmig gebogen. Der ſogenannte fleiſchfreſ - ſende Elephant iſt das Thier, deſſen ungeheure Skelette oder einzelne Knochen man noch in den Kalkhoͤhlen, als Überbleibſel einer Vor - welt antrift, deren Thierarten wenigſtens zum Theil nicht mehr exiſtiren. (Man f. 1801 Ju - lius Nr. 1.) Beider obenerwaͤhnte wahre Ele - phantenarten, in Aſien und Afrika, naͤhren ſich im wilden Zuſtande von Vegetabilien. 2591. A. v. Humboldt.Fundamenten beschaͤftiget; hievon ſind, meiner Meinung nach, wenigſtens die Muͤhlſteine noch nicht von der Stelle geruͤcktr)Zum Andenken der in Peru ſeit dem J. 1737 auf Befehl des Koͤnigs Ludwig XIV von Frank - reich angefangenen Gradmeſſung, vorzuͤglich aber zur Feſtſtellung der Endpunkte der Grund - linie, welche in der Ebene Paruqui gemeſſen worden, ließ Hr de la Condamine in den J. 1740 bis1742 zwei Pyramiden mit Ueberwin dung unſaͤglicher Schwierigkeiten errichten, und zwei Muͤhlſteine in die Bais derſelben ſo en - ſenken, daß die beiden Meßſtangen, welche die aͤußerſten Endpunkte der Grundlinie abgegeben hatten, in die leeren Zentralraͤume jener Steine zu ſtehen kamen. Dies war mit Genehmigung der Regierung in Lima geſchehen. Jn der Folge erhob aber einer der Spaniſchen Gelehr - ten, welche der Expedizion beigeſtellt waren, Don George Juan, daruͤber Klage. Es ward ſogar zwiſchen beiden Regierungen daruͤber kor - reſpondirt; und, ungeachtet aller von der Aka - demie der Wiſſenſch. zu Paris angefuͤhrten triftigen Gruͤnde, dies nuͤtzliche Denkmaal im J. 1747 auf Befehl des Spaniſchen Hofes ver - nichtet. Kurz darauf aber zu ſpaͤt, ward der Befehl wiederrufen; allein la Condamine ver - ſichert, daß die bald nachher beabſichtigte Wie -. Ein edelmuͤthi -R 2260Oktober 1803.ger Privatmann, ein Freund der Wiſſenſchaf - ten, und der Maͤnner welche ſie in Ehren brach - ten, wie la Condamine, Godin und Bouguer, der Markis von Selvalegre in Quito hat vor, dieſe Pyramiden wieder aufzubauen. Allein die Sache wuͤrde mich itzt zu weit fuͤhren.

Nachdem wir Aſſuay und Kuenka beruͤhrt hatten (wo man uns Stiergefechte gab), nah - men wir den Weg von Loxa, um unſere Ar - beiten uͤber die Cinchona*)Das Hauptprodukt dieſer Pflanze, (man ſ. vorher die Anmerkung e) nennen die Spanier Caſcarilla (Rinde) ſchlechtweg, oder Caſc. de Loja oder Loxa von dieser Provinz. Den Jn - dianiſchen Namen ſchreiben ſie Quina oder Quina Quina, ſprechen ihn alſo Kina aus, wie ſie ihn auch ſelbst im Lateiniſchen ſchreiben. Der Baum ſoll uͤbrigens Quarango heißen, doch iſt die von ſeiner Rinde hergenommene Benennung gewoͤhnlicher. zu ergaͤnzen. Hie - naͤchſt brachten wir einen Monat in der Pro -r)derherſtellung fruchtlos ſein wuͤrde weil die Muͤhlſteine, eines mit eingeſenkten ſilbernen Taͤfelchens wegen, gewiß aus Gewinnſucht wuͤr - den aus der Stelle geruͤckt, alſo die wahren Graͤnzen der Meſſung unzuverlaͤſſig geworden ſein. 2611. A. v. Humboldt.vinz Jaen de Bracamoros und zu Pongos am Amazonenfluſſe zu, deſſen Ufer mit der Andiras)Eine von Lamarck beſtimmte, im Linné nicht vorkommende, Pflanzengattung und mit Juſſieu´s Bugainvilleat)Eine ſehr huͤbſche zur achten Linnéiſchen Klaſſe gehoͤrige Pflanze geschmuͤckt ſind. Es duͤnkte mich intereſſant, die Laͤnge von Tomependa und Chuchungat zu beſtimmen, wo la Condamine's Karte anfaͤngt, und dieſe Punkte mit der Kuͤſte in Verbindung zu bringen. La Condamine konnt nur die Laͤnge des Ausfluſſes vom Napou)Nehmlich in den Amazonenfluß, in welchen der Napo ſich, nach der Condaminiſchen Karte, oberhalb Pevas ergießt beſtimmen; allein die Laͤngen-Uh - renv)Wenn Jemand geraden Weges von einem be - kannten Orte auf der Erde gegen Morgen reiſet, und ſeine Uhr zeigt an dem andern Orte wo er hingekommen, erſt 12 Uhr Mittags, die daſige Uhr aber 2 Uhr Nachmittags: ſo laͤßt ſich hieraus, unter der Vorausſetzung daß beide Uhren richtig gehn, berechnen, daß der Rei - ſende einen Weg von 450 geographiſchen Mei - lein zuruͤck gelegt hat. Gewoͤhnlicher druͤckt man diese Entfernung in Graden des Aequa - existirten[damals] noch nicht, weshalb die262Oktober 1803.Laͤngen-Angaben dieſer Gegenden ſehr vieler Veraͤnderungen beduͤrfen. Mein Chronometer von Louis Berthoud thut Wunder welches ichv)tors (15 geogr. Meilen auf einen Grad gerech - net) aus; und wenn man die Entfernung von dem Punkte an berechnet, wo der angenom - meine erſte Meridian den Aequator durchſchnei - det, d. i. wo auf unſeren Globen O ſteht: ſo hat man die Laͤnge eines Orts gefunden. Unſere Taſchenuhren ſind zu dergleichen Be - obachtungen aber zu fehlerhaft; deshalb ſetz ten die Englaͤnder wie auch die Franzoſen, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, Preiſe auf die Erfindung eines vollkomnern hiezu dien - lichen Jnstumentes aus. Harriſon uͤber - reichte dem Engl. Parlament im J. 1762 die erſte Laͤngenuhr, und empfing dafuͤr den drit - ten Theil des Preiſes mit 10000 Pfund Ster - ling. Spaͤterhin ſind ſie ſehr verbeſſert wor - den, auch unter der Form von Taſchenuhren verfertigt, welche Chronometer (Zeitmeſſer) ge - nannt werden. Auf Schiffen bedient man ſich aber der groͤßeren Uhren dieſer Art, welche auf Tiſchen befeſtigt werden muͤſſen. Die Franzo - ſen nennen ſie garde-tems, die Englaͤnder time - keeper; wir koͤnnten ihnen im Deutſchen auch den gleichbedeutenden chrakteriſtiſchen Namen Zeitwaͤchter beilegen. 2631. A. v. Humboldt.gewahr werde wenn ich mich von Zeit zu Zeit durch den erſten (Jupiters) Trabanten orientire, und Punkt vor Punkt meine Differenzen des Meridians mit denen vergleiche, welche ſich bei der Expedizion des Hrn Fidalgo ergeben haben, der auf Befehl des Koͤnigs (von Spanien) tri - gonometriſche Meſſungen von Kumana bis nach Kartagena angestellt hat.

Vom Amazonenfluſſe, ſind wir bei den Berg - werken zu Hualgayok (welche jaͤhrlich eine Mil - lion Piaſter ausbringen, und wo ſich das ſilber - haltige graue Kupfererz 2065 Toiſen hoch findet) uͤber die Anden gegangen. Wir reiſeten abwaͤrts uͤber Kaſkamaſka, wo ich in dem Pallaſt von Atahualpa die Bogen der Peruaniſchen Ge - woͤlbe gezeichnet habe, nach Truxillo, und von hier durch die Einoͤden an der Kuͤſte des Suͤd - meers nach Lima, wo der Himmel waͤhrend der einen Haͤlfte des Jahres mit dicken Duͤnſten be - deckt ist. Jch eilte Lima zu erreichen, um am 9 November 1802 den Durchgang des Merkus zu beobachten.

Unſere Pflanzenſammlungen, und die Zeich - nungen welche ich in Hinſicht der Zergliederung der Gattungen, nach den mir vom Buͤrger Juſ - ſieu in der Naturforſchenden Sozietaͤt daruͤber mitgetheilten Jdeen, entworfen habe, ſind durch264Oktober 1803.die Reichthuͤmer ſehr vermehrt, welche wir in der Provinz Quito, bei Loxa, am Amazonen - fluſſe, und in der Kordillere von Peru, antra - fen. Wir haben viele von Joſef Juſſieuw)Der Großvater des jetzt lebenden Gelehrten dieſes Namens in Paris. Er begleitete la Condamine 1735 als Botaniker nach Peru be - obachtete Pflanzen wieder gefunden: z. B. die der Quillaja verwandte Lloguex)Von der Gattung Llogue iſt hier noch we - nig oder nichts bekannt. Die Quillaja iſt eine Baumart deren Rinde seifenartig fein, und auch von den Eingebornen ſtatt der Seife be - nutzt werden soll. und andere. Wir haben eine neue huͤbſche Art der Juſſiea, verschiedne Arten von Colletia, mehrere Paſſi - flora, und den Loranthus als 60 Fuß hohen Baum angetroffeny)Die Loranthus-Arten ſind ſonſt alle paraſi - tiſch, d.h. ſie finden ſich auf andern Gewaͤch - ſen, namentlich auf Baͤumen. Ob dieſer 60 Fuß hohe Loranthus es ebenfalls iſt, muß man bis auf naͤhere Nachrichten dahin gestellet ſein laſſen. Unmoͤglich waͤre es nicht, da in Suͤd - amerika mehrere Baͤume auf andern Baͤumen wachſen. . Vorzuͤglich ſind wir ſehr reich an Palmen und Graͤſern, woruͤber mein2651. A. v. Humboldt.Freund Bompland eine ausfuͤhrliche Ausarbei - tung verfertigt hat. Bis itzt haben wir 3784 lateiniſche Beſchreibungen vollendet, und in un - ſern Herbarien ſteckt faſt noch der dritte Theil aller Pflanzen, die wir aus Mangel an Zeit nicht haben beſchreiben koͤnnen.

Unter diesen Gewaͤchsen iſt kein einziges, wovon wir nicht die Steinart angeben koͤnnten, worauf es waͤchſt, und die Hoͤhe, bis zu welcher es ſich uͤber die Meeresflaͤche erhebt; ſodaß fuͤr die Pflanzen-Geographie in unſeren Manuſkripten ſehr genaue Materialien vorhanden ſind. Oft, um ſo viel als moͤglich zu leiſten, iſt eine und die - ſelbe Pflanze von Bompland und von mir be - ſonders beſchrieben worden. Sonſt aber verdanke ich zwei Drittel meiner Beschreibungen, und druͤber, einzig meinem Reiſegefaͤhrten, deſſen Ei - fer und gaͤnzliche Aufopferung fuͤr die Fortſchritte der Wiſſenſchaften man nicht genug bewundern kann. Die Juſſieu, Desfontaines und Lamarck haben an ihm einen Zoͤgling, der es ſehr weit bringen wird. Wir verglichen unſere Herbarien mit den Sammlungen des Hrn. Mutis, und zogen eine Menge Werke in der ungeheuren Bi - bliothek dieſes großen Mannes zu Rathe. Zu - verlaͤßig beſitzen wir viele neue Gattungen und Arten; aber es wird eine geraume Zeit und Ar -266Oktober 1803.beit dazu gehoͤren, um das wirklich Neue zu ſichten.

Wir haben auch eine kieſelige Subſtanz bei uns, dem Tabacher aus Oſtindien aͤhnlich, wel - chen Hr Macie analyſirt hatz)Der Jndische Tabaſcher, Tabaſheer, Tabaxir, ſoll nach Verſicherung der Herren Ruſſell und Macie, im eigentlichen Bambusrohre gefunden werden, in Geſtalt von Konkrezionen, welche einer kieſeligen weißen harten Steinart, dem Cacholong aͤhnlich ſind. Aus dem Verhalten dieſer Subſtanz gegen Saͤuren und Alkalien, zog man den Schluß, daß Kieſelerde der Haupt - beſtand des T. ſei. Jndeß iſt Macie's Analyſe, nach meiner Überzeugung, noch nicht ganz be - friedigend. Drs Ruſſell Brief aus Oſtindien ſteht in den Philosophical Transactions, vol. 80, p. 273; der Aufſatz des Hrn Macie in Lon - don, daſelbſt vol 81, p. 368, und uͤberſetzt in Hrn v. Crell Chemischen Annalen 1792, S. 342, 428, 513. . Sie iſt in den Knoten einer rieſenfoͤrmigen Grasart anzutref - fen, welche mit dem Bambus verwechſelt wird, deren Bluͤthen aber von Schrebers Bambuſa ganz abweichen. Jch weiß nicht ob Fourcroy die Milch der vegetabilen Kuh (ein auf dieſe Art von den Jndianern genannter Baum) er -2671. A. v. Humboldt.halten hataa)Jch glaube, in irgend einer Franzoͤſiſchen Zeitſchrift von dem richtigen Eingang derſelben etwas geleſen zu haben; kann mich aber nicht genau erinnern, wo dieſe Nachricht anzutref - fen iſt. ; eine Milch nehmlich, welche mit Salpeterſaͤure behandelt, mir eine Art balſa - miſch riechenden Kautſchuk*)Kautſchuk iſt der eigentliche Name des be - kannten Elaſtiſchen Harzes. Von einer Berei - tung deſſelben ſ. Man 1795 Februar Nr 5. geliefert hat; uͤbri - gens aber gar nicht aͤtzend oder ſchaͤdlich iſt, wie andere Arten von Pflanzenmilch, ſondern nahr - haft und angenehm zu trinken. Wir haben ſie auf dem Wege nach dem Orinoko, in einer Pflan - zung, entdekct, wo die Neger ſie haͤufig genie - ßen. Jch habe auch an den Buͤrger Fourcroy uͤber Guadeloupe und an Sir Joſeph Banks uͤber Trinidad unſer Dapiché oder ein weißes oxydirtes Kautschuk uͤbermacht, welches die Wur - zeln einer Baumart in den Waͤlder von Pi - michim, dem unzugaͤnglichſten Winkel der Erde, gegen die Quellen des Rio Negro hin, aus - ſchwitzen.

Jch gehe nicht nach den Philippinen; ich reiſe uͤber Akapulko, Mexiko, und Havanah nach Europa. Hoffentlich umarme ich Sie im Sep -268Oktober 1803.tember oder Oktober 1803 zu Paris. Gruß und Hochachtung. Humboldt.

Jm Februar bin ich in Mexiko.

Jm Juni in Havanah. Denn ich denke auf nichts als auf die Erhaltung und Bekanntmachung meiner Manuſkripte.

Wie ſehne ich mich nach Pa - ris!!!

Seitdem iſt noch ein Brief hier eingelaufen, von viel ſpaͤterem Datum, von einem naͤheren Orte auf dem Heimwege, und mit neuen Be - ſtimmungen uͤber die Zuruͤckkunft nach Europa: alſo ſchon darum hoͤchſt intereſſant. Hier iſt das allgemein Mittheilbare daraus.

An Hrn Prof. Willdenow in Berlin.

Wenig Tage nach meiner Ankunft in dieſer großen und ſchoͤnen Hauptſtadt Neuſpaniens, er - hielt ich Deinen lieben Brief vom 1 Oktober 1802. Die Freude daruͤber war um ſo groͤßer, da, ſeitdem ich Europa verlaſſen habe, dies das2691. A. v. Humboldt.erſte - und einzigemal iſt daß ich etwas von Dir leſe, obgleich ich uͤberzeugt bin daß Du mir oft geſchrieben haſt. Auch von meinem Bruder habe ich, ſeit meiner Abreiſe aus Corunua, hoͤchſtens 5 bis 6 Briefe innerhalb vier Jahre bekommen. Es ſcheint als wenn ein feindlicher Unſtern, mehr in Abſicht der Briefe, als der Schiffe, hier uͤber uns waltet. Doch ich will nicht klagen, da mir nun bald die Freude bevorſteht, Euch alle wie - der zu umarmen.

Wir haben ſchon uͤber zehn - oder zwoͤlfmal große Sendungen friſcher Saͤmereien von hier abgeſchickt: an den Botaniſchen Garten in Ma - drid, wo Cavanilles, wie ich ſehe, in den Ana - les de Hiſtoria natural bereits einige neue Spezies aus dieſen Samen beſchrieben hat; an den Garten in Paris; und, uͤber Trinidad, an Sir Joſef Banks in London. Allein, denke da - rum nicht, daß mein Reichthum erſchoͤpft ſei, oder daß ich Berlin vergeſſen werde. Jch be - ſitze eine ausgezeichnete Sammlung, die ich zu Quito, zu Loxa, am Amazonenfluße bei Jaen, auf den Anden von Peru, und auf dem Wege von Akapulko nach Chilpenſingo und Mexiko, zuſammengebracht habe. Dieſen Schatz will ich nicht dem Zufall der Poſten, die unglaublich nachlaͤßig ſind, anvertrauen; ſondern, da ich nun270Oktober 1803.im Begrif ſtehe ſelbſt nach Havanah und Eu - ropa abzureiſen, Dir ſelber uͤberbringen. Jch habe Alles hoͤchſt ſorgfaͤltig getrocknet. Was ich Dir bringe, ſind viele Samen von Melaſtoma, Pſychotria, Kaſſia, Bignonia, Mimoſa (ohne Zahl!), Solanum, Jacquinia, Embothrium, Ruellia, Gyrokarpus Jacq., Bornadeſia, Achras, Lukuma, Bugainvillea, Lobelia, und ein halbes Hundert Pakete unbekannter Arten aus den An - des, aus dem Amazonenlande, u. ſ. w. ... Ferner werden meine Freunde in Amerika immer bereit ſein, Dir auf mein Erſuchen recht haͤufig ganz friſche Samen zu ſchicken. Jch nenne Dir itzt nur gleich als die thaͤtigſten Maͤnner: Ta - falla zu Guayaquil; Olivedo zu Loxa; Matis, der erſte Pflanzenmaler in der Welt und ein treflicher Botaniker, zu Santa Fe, ein Schuͤler von Mutis; imgleichen einige Kapuziner in Neu - andaluſien und Guayana. Auch iſt ein vortref - licher und eifriger Naturforſcher Hr Caldas zu Popayan.

Es freut mich ſehr, daß meine Pflanzen durch Hrn Fraſer endlich bei Dir angekommen ſind.

Du wirſt aus meinen aͤlteren Briefen wiſ - ſen, daß, nachdem wir ein halbes Jahr in den Volkanen zu Quito zugebracht, und faſt die2711. A. v. Humboldt.Spitze des Tſchimboraſſo erſtiegen haben, wir zu Kuenka und Loxa geweſen ſind, um dort die Cinchona-Arten zu ſtudieren. Von Loxa gingen wir, uͤber fuͤrchterliche Wege, nach der Provinz Jaen de Bracamoros, und nach dem Amazo - nenfluß; von da, uͤber die Kordillere, durch die großen Bergwerke von Chota, nach Truxillo, und laͤngs der Kuͤſte des Suͤdmeers nach Lima: wo ich den Durchgang des Merkurs beobachtet habe. Von Lima machten wir die Reiſe nach Guayaquil zur See, blieben dort einen Monat, und ſchiften nach Akapulko, auf welcher letzten Fahrt wir 35 Tage zubrachten, und einen grau - ſamen Sturm dem Golf von Nicoya gegenuͤber auszuſtehn hatten.

Daß ich ſeit lange die Reiſe nach den Phi - lippinen aufgegeben habe, weißt Du. Jch wuͤrde einen ungeheuren Seeweg machen, bloß um eine einzige Jnſelgruppe zu ſehn. Auch erlaubt der gegenwaͤrtige Zuſtand meiner Jnſtrumente mir nicht die Reiſe zu verlaͤngern, die ſchon vier Jahre dauert; und es iſt mir unmoͤglich gewe - ſen, mir neue Jnſtrumente aus England zu ver - ſchaffen. Man iſt hier faſt ganz abgeſchnitten von der uͤbrigen Welt, wie im Monde.

Jch wuͤnſchte gegen Ende dieſes Jahres in Europa zu ſein. Allein, das ſchwarze Erbrechen,272Oktober 1803.welches ſchon zu Vera Cruz und in Havanah herrſcht, und die Furcht vor der uͤblen Schif - fahrt im Oktober, muͤſſen mich zuruͤckhalten. Jch will nicht mit einer Tragoͤdie endigen. Weil ich nun aber den ſicherern Weg waͤhle, ſo werde ich wahrſcheinlich erſt im April oder Mai 1804 in Europa anlangen.

Jch weiß nicht, ob ich heute Zeit haben werde meinem Bruder zu ſchreiben. Sei ſo gut, ihm dieſen Brief mitzutheilen, und ihm zn ſa - gen daß ich vollkommen geſund bin, und daß mir nichts fehlt, als ſeine Briefe.

(Eine Beilage dieſes Schreibens war die, vom Mai 1803 datirte, und in das Jntelligenz - blatt der Allgemeinen Literaturzeitung zu befoͤr - dernde, Erklaͤrung des Hrn von Humboldt uͤber den Kohlenſaͤure-Meſſer, gegen eine hoͤchſt ſon - derbare Nachricht die daſelbſt in Nr 93 vom J. 1800 geſtanden hatte. Dies letzte Blatt fand unſer Reiſender bei Hrn Don Fauſto d'Elhuyar in Mexiko. Es muß in der That erfreuen, daß dieſe Deutſche Zeitſchrift auch in dem entfern - ten Welttheile geleſen wird. Zugleich erſieht man aus dieſer kleinen Angabe, wie richtig Hr Geheimerath Karſten vermuthete (1802 Junius, S. 461), als Hr von Humboldt den ungluͤckli - chen Tod eines Bergdirektors d'Elhuyar ohne weitere Bezeichnung gemeldet hatte, daß dies der aͤltere Bruder Don Joſef ſein muͤſſe, nicht der juͤngere Don Fauſto.)

2.

About this transcription

TextAn Hrn Delambre in Paris. Lima, d[en] 25[.] November 1802; An Hrn[.] Prof. Willdenow in Berlin. Mexiko, den 29[.] April 1803.
Author Alexander von Humboldt
Extent34 images; 5636 tokens; 2268 types; 39736 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information An Hrn Delambre in Paris. Lima, d[en] 25[.] November 1802; An Hrn[.] Prof. Willdenow in Berlin. Mexiko, den 29[.] April 1803.. Alexander von Humboldt. . II+32 S. 1803. Neue Berlinische Monatschrift (10) pp. 241-272.

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LanguageGerman
ClassificationWissenschaftliche Abhandlungen in Form gedruckter Briefe; ready; avh

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T09:48:55Z
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