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Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuſs. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Aus dem Jahre 1841.Berlin.Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften.
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Die folgende Nachricht, welche der Akademie in der ersten Sitzung des Februars mitgetheilt ward, wird hier nach dem Be - schlusse der Akademie dem Monatsbericht für den Januar bei - gefügt.

Hr. v. Humboldt giebt der Akademie Nachricht von der merkwürdigen Untersuchung des Thieres im Nautilus Pompilius, des dritten von Naturforschern gesehenen Thieres dieser Art, wel - che durch Hrn. Valenciennes in Paris angestellt und ihm von diesem in einem Briefe mitgetheilt worden ist. Hr. Meder, Kaufmann auf Java sagt Hr. Valenciennes hat mir das schon von Owen beschriebene Thier des Nautilus Pompilius ge - sandt, welches zwischen Timor und Neu-Guinea aufgefischt wor - den war. Ich glaube, daſs die Abbildungen, welche ich von die - sem Thiere entworfen habe, noch etwas deutlicher, als die Owen - schen sein werden. Ich habe ein Organ aufgefunden, welches dem ausgezeichneten englischen Anatomen entgangen war, nehmlich eine mit Papillen besetzte conische hohle Röhre, die in ihrem In - nern eine gefaltete Membran enthält, welche die gröſste Ähnlich - keit mit der in den Narinen der Fische besitzt; daher ich nicht zweifle, dieses sei ein Geruchsorgan. Hr. Owen hatte dieses Or - gan an einer anderen Stelle vermuthet, an der Basis der inneren Tentakeln; doch muſs es eine ganz andere Bestimmung haben, da56 sich noch zwei andere ganz gleiche Organe an der Basis der äu - ſseren Tentakeln vorfinden, welche Hr. Owen nicht gesehen hat. Ich möchte sie für Membrane halten, welche noch dem Ge - schmacksorgan angehören. Ich habe kein inneres Ohr auffinden können; auch habe ich keinen Kopfknorpel zu entdecken ver - mocht. Das Pericardium hat eine höchst merkwürdige Einrich - tung. Es ist auf solche Art gefaltet, daſs es sechs Taschen oder Säcke um das Herz bildet, drei auf jeder Seite, welche sich jeder an der Basis der Kiemen öffnet, zwei an den hinteren Kiemen. Durch diese Öffnungen hat das Pericardium eine freie Verbindung mit der groſsen Athmungshöhlung des Thieres. Auf diesen Säcken sitzen die schwammigen Erhöhungen, denen ähnlich, wie sie Cu - vier an dem Octopus entdeckt hat. Auch Owen hat sie gezeich - net, wiewohl nicht deutlich genug. Endlich hat die Untersuchung des Kopfes mich belehrt, daſs dieser Kopf von acht Armen um - geben sei, wie beim Octopus. Die zwei oberen Arme sind breit und flach und einer Ausdehnung fähig. Sie umgeben die Schale auf der Seite des erhabenen Theils des spiralförmig gewundenen Kegels (die Convexität der vorletzten Windung), so daſs der schwarze Theil auf dem Munde unweit der Spira die Basis der breiteren Arme enthält; wenn sie sich über die Schale verbreiten, setzen sie darauf die mit gelben Flammen durchzogene äuſsere Schicht ab, so ungefähr, wie die Ränder des Fuſses der Cypraeen eine Schicht bilden, welche anders gefärbt ist, als die, welche der Halsgürtel des Thieres absetzt. Ich halte die Scheiden, welche sich auf den Armen erheben, für Organe, den Saugnäpfchen des Octopus gleich. Die äuſseren Arme haben siebzehn Scheiden (gaines), aus welchen eben so viele Fühlfäden (cirrhes) hervor - gehen. Die zwei groſsen und breiten Arme haben jeder nur zwei Scheiden. Die beiden Arme dem Munde zunächst, besitzen, der eine dreizehn, der andere zwölf Saugnäpfchen (ventouses) oder Scheiden. Das Thier ist an der Schale durch zwei starke Muskeln befestigt, die nach dem Innern sich fortsetzen, um den Trichter zu unterstützen, der von der zurückgeschlagenen Falte gebildet wird, welche im Innern das zungenförmige Organ enthält, durch welche das Eindringen des Wassers in die Athmungshöhle ver - hindert wird, wenn das Thier sich schnell im Wasser bewegt. Der57 Octopus bedurfte einer solchen Vorsorge nicht, da er rückwärts schwimmt; die Sepia, welche in schiefer Richtung sich bewegt, besitzt davon ein Rudiment. Hiernach hätte der Nautilus eben so viele Arme, als ein Octopus; allein sie sind anders geformt, sehr kurz, und mit einziehbaren Fühlfäden besetzt, welche aus Scheiden hervorkommen, die an die Stelle der Saugnäpfchen tre - ten, und die man selbst für Arme gehalten hat. Die Röhre, welche sich im Sypho hinabsenkt, setzt fort durch alle Windun - gen bis zur innersten. Sie ist fleischig und mit einer kalkig-gela - tinösen Membran umgeben, die aus der Röhre selbst ausgeschieden wird. Diese Röhre kann daher mit dem Innern der Kammer - höhlungen nicht in Verbindung treten; diese Höhlungen, welche leer sein müssen, können daher gar nicht mit einander verbunden sein. Der Zweck dieses Sypho, in dem sich, wie es Rumph und Owen gesehen haben, Gefäſse vertheilen, bleibt mir gänzlich verborgen.

Das von mir und das von Owen untersuchte Thier können, nach meiner Ansicht, nicht zu derselben Species gehören. Owen sagt, der Schnabel seines Thieres sei kalkartig an der Spitze und ausgezackt; das meinige hat einen hornartigen Schnabel bis zur Spitze und ist durchaus glatt am Rande. Owen's Nautilus war bei Erromanga, eine der Hebridischen Inseln, aufgefischt worden; das meinige im Meere von Neu-Guinea, daher 1000 oder 1200 See - meilen vom vorigen entfernt. Ich sehe jetzt ein, wie ein Nau - tilus sich bewegt; es geschieht dieses durch die langen und dicken Arme, die zu einer Art von Fuſs verbunden sind; daher können sie unter der Oberfläche des Meeres sich fortschieben, wie un - sere Lymneen und Planorben in Sümpfen, doch mit dem Unter - schiede, daſs diese sich dann in umgewendeter Lage befinden, so daſs das Gehirn unter dem Oesophagus liegt, wenn sie auf dem Wasser sich bewegen, statt daſs der Nautilus in natürlicher Stel - lung auf dem Wasser bleibt, das Gehirn über dem Oesophagus. Kann er auf dem Meeresgrunde fortkriechen, wie Rumph be - hauptet, so müſste dieses freilich in umgewendeter Stellung ge - schehen. Der Nautilus ist daher ganz nach dem Bau der Ce - phalopoden geformt, und hat mit den Gastropoden nichts gemein; aber auch nichts mit der Spirula. Von dieser besitze ich Frag -1****58mente, welche durch die Form des Mantels und durch nur zwei Branchien genugsam ihre Ähnlichkeit mit Sepia oder Loligo er - weisen. Belemniten sind nichts anders, als gerade, nicht gewun - dene Spirulen. Der Anblick des Nautilus erweist noch, daſs er kein Operculum besitzen kann, und daſs der Aptychus, wie Hr. Voltz meint, nicht als ein Operculum angesehen werden kann. Ist der Aptychus ein Theil eines Ammoniten, wie das ganz wahr - scheinlich ist, so muſs man diesen Theil am Munde suchen oder am Pharynx.

Bemerkungen des Hrn. Prof. J. Müller.

Wesentliche Unterschiede kommen in der Zahl der Tentakeln bei Owen und Valenciennes nicht vor, sondern nur in der Deutung derselben in Beziehung auf die Organe an den Sepien. Owen nimmt seine Digitationen oder Tentakelröhren für die Arme, und zwar nur die 19 Digitationen jeder Seite, während er die um den Mund sitzenden Haufen von Tentakeln als 4 appendices labiales tentaculiferae bezeichnet. Valenciennes nimmt die Lappen, welche die Tentakelröhren abschicken, als Arme. Was er die beiden oberen Arme nennt, heiſst bei Owen hood, Hut. Da dieser, nach Owen, zwei Tentakeln ausschickt, so betrachtet er ihn als zwei in der Mitte vereinigte Digitationen von ähnlicher Art, wie die übrigen. Der Lappen jeder Seite, worauf die 17 Röhren mit Tentakeln sitzen, heiſst bei Valenciennes zweiter oder äuſserer Arm; die Tentakeln sind ihm die Analoge der Saug - näpfe der Sepien. Owen nennt die einzelnen Tentakelröhren Arme, deren er 19 auf jeder Seite zählt. Rumph hat 20. Den dritten (oberen inneren) und vierten (unteren inneren) Arm jeder Seite bekommt Valenciennes aus den vorderen und hinteren appendices labiales tentaculiferae von Owen, von denen jeder bei ihm 12, bei Valenciennes der eine 13, der andere 12, bei Rumph jeder 16 Tentakeln hat. Owen vergleicht die unteren appendices labiales den überzähligen Armen des Calmars, die obe - ren als eine weitere Entwickelung der äuſseren Lippe derselben.

Die Ansicht von Valenciennes hat vieles für sich, auch das, daſs die Cephalopoden-Gattung Cirrotheuthis von Eschricht Arme hat, die nicht mit Saugnäpfchen, sondern mit zarten, faden -59 artigen Tentakeln besetzt sind. Valenciennes erwähnt zwei Tentakeln an jedem der oberen Arme, also zusammen 4, Owen hat an seinem hood nur zwei Tentakeln im Ganzen. Die beson - dere Tentakel vor und hinter dem Auge ist auch von Valen - ciennes angezeichnet. Ihre Gegenwart bietet einen Einwurf gegen seine Ansicht; indessen haben sie eine andere Structur, als die übrigen Tentakeln.

Die blättrigen Organe, welche Owen für Geruchsorgane hielt, kommen bei Valenciennes gedoppelt vor; dann hat er ein bei Owen fehlendes Organ in der Nähe des Auges, eine Röhre, mit einer gefalteten Haut im Innern, welches er für das Geruchsorgan nimmt, weil es, wie bei den Fischen gebaut ist. Sehr wahrscheinlich. Daſs der Kopfknorpel fehlen sollte, den Owen beschrieben, scheint mir bedenklich.

Interessant ist, was vom Herzbeutel mitgetheilt wird und ab - weichend von Owen durch die Zahl der Öffnungen. Wichtig endlich ist das über den Sypho Mitgetheilte und die Bestätigung der Muskelanheftung des Thieres an die Schale. Das von Valen - ciennes beobachtete Thier mag wohl eine andere Species sein, wie auch der nicht gezackte Rand des Schnabels und der überall völlig hornige Zustand desselben glauben machen.

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Text[Bericht über das Thier des Nautilus pompilius]
Author Alexander von Humboldt
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information [Bericht über das Thier des Nautilus pompilius]. Alexander von Humboldt. . I+5 S. 1841. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin pp. 55-59.

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ClassificationAnkündigungen, Berichtigungen und kurze Nachrichten; ready; avh

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