PRIMS Full-text transcription (HTML)
Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuſs. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Aus dem Jahre 1838.
Berlin.Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften.
38

19. März. Sitzung der physikalisch-mathema - tischen Klasse.

Herr von Humboldtlas eine Abhandlung über die Hoch - ebene von Bogota.

Die Andeskette, wie alle groſsen Gebirgsketten der altenund neuen Welt, bieten mehr oder minder ausgedehnte Hochebenen dar. Sie liegen stufenweise über einander und sind meist durch enge Schluchten (Thäler, die senkrecht die Haupt-Axe des Ge - birges durchschneiden) verbunden. Diese sehr bekannte Erschei - nung wiederholt sich selbst am Abhange isolirt stehender Berge. Was der Andesketteaber eigenthümlich ist und sich in gleichem Maaſse nirgends in dem alten Continentwiederholt, ist der Um - stand, daſs dort groſse, reiche und wohl bevölkerte Städte in den Hochebenen selbst gegründet sind; fast reihenweise in gleichem Abstande vom Äquator, zwischen 36° nördlicher und eben so viel südlicher Breite, von Neu-Mexicobis Chili. Die Ursach dieser sonderbaren Städtegründung muſs man suchen in der Richtung der frühesten Völkerwanderungen, in der Furcht aller Bergvölker, in die heiſsen Ebenen hinabzusteigen, in der Wahl der nährenden Pflanzen, welche früh ein Gegenstand des Ackerbaues geworden sind. Die europäischen Ansiedler folgten überall der alten Cultur: sie haben die eroberten Städte erweitert, doch ihnen selten neue Namen gegeben. Wenn man Caracas, Popayan, Mexico, Quito, La Pazund Potosinennt, so reihet man genau in dieser Folge Stationen an einander, die sich senkrecht zu Luftschichten zwi - schen 2800 bis 13,000 Fuſs Höhe über der Meeresfläche erhe - ben, meteorologische Warten, gewiſs einst Sitze wissenschaftlicher Bildung, in welchen durch permanente Bewohnung die wichtig - sten Aufschlüsse über den mittleren Zustand der Atmosphäre nach Verschiedenheit der Höhe und geographischen Breite erlangt wer - den können. Die asiatischen Bergländerzeigen uns höher be - wohnte Dorfschaften und Meierhöfe am nördlichen Abhange des Himalaya, wie in West-Tübet, am Küenlunund in dem Plateau von Pamergegen den Bolorhin, aber keinesweges eine Reihe groſser Städte. Kaschmirliegt nach Victor Jacquemontund Baron von Hügelnur 5000 oder 5400PariserFuſs hoch, es er - reicht also noch nicht die unbedeutende Höhe der Stadt Popayan. 39Der Paſs, auf dem Burneszwischen Kabulund Balkhden Hindu - Kho, bei dem alten Bamiyan, überschritt, ist auf dem höchsten Punkte fast 1000 Fuſs niedriger als das Straſsenpflaster der obern Stadt Potosi.

In diesen allgemeinen Betrachtungen, welche der Abhandlung zum Eingange dienen, untersuchtHerr vonHumboldtdie Stellen der Alten, in denen das allgemeine Gesetz der, unabhängig von der geo - graphischen Breite, mit der bloſsen Erhebung des Bodens zu - nehmenden Kälte der Klimate ausgesprochen ist. Der von He - rodotgeläugneten Schneeberge in Afrikazwischen den Wende - kreisen erwähnt zuerst die Adulische Inschrift. Im Neuen Con - tinentwurde der ewige Schnee der Tropen-Region zuerst in dem Gebirge von Citarma(jetzt Nevados de Santa Marta), neun Jahr nach Columbuserster Entdeckung, gesehen. Petrus Martyr de Anghiera, in einem für den Pabst Leo X.geschriebenen Buche, bemerkte zuerst, daſs die untere Grenze des ewigen Schnees mit abnehmender Breite sich erhebe. Neuere Beobachtun - gen lehren den Einfluſs der Hochebenen auf die mittlere Temperatur. Sie ist 1°,5 bis 2°,3 gröſser, als in gleicher Höhe an dem ununter - brochenen Abhange der Gebirgsketten: auch bemerkt man Unter - schiede zwischen der Mitte der Hochebene und den Rändern. Dem Ackerbau, besonders der Cultur des Mays und den europäischen Cerealien ist, in den Hochebenen, besonders, wenn sie sich über 7800 Fuſs erheben, das Erfrieren durch nächtliche Strahlung der Bodenwärme gegen einen heiteren, dunstfreien Himmel, durch unbewegte dünne und sehr trockene Luft, gefahrbringend. Jedes Plateau hat ein eigenes individuelles Klima, welches durch seinen Vegetationszustand, die Gestalt der umgebenden nächsten Fels - wände, ihre Stellung zu den herrschenden Winden und ihre Farbe, wie durch den periodischen Gang der Störungen im elektrischen Gleichgewicht der Atmosphäre bedingt wird. Die numerischen Resultate der mittleren Tag - und Nacht-Temperaturen geben allein, bei dem verwickelten Gange des meteorologischen Prozesses, kein treues Bild der localen Klimate. Auch von dieser Seite bietet, in der glücklichen Tropen-Zone, die kleinste Raumfläche die höchst - möglichste Mannichfaltigkeit von Naturerscheinungen dar, sei es in den meteorisch vorübergehenden oder in den durch innere Ent - wickelung sich ewig erneuernden des organischen Lebens.

40

Specielle Ansicht der Hochebene von Bogota, aus noch un - gedruckten Tagebüchern geschöpft. Bewohnbarkeit, Klima, Phy - siognomik der Vegetation, geognostische Schichtungs-Verhältnisse. Das Plateau, Llanura de Bogota, nach den alten Mythen der Ureinwohner vom Stamme der Muyscas der Boden des ausge - trockneten Sees Funzha, hat die mittlere Höhe von 8130 Fuſs. Die Stadt Bogota, vor dem Freiheitskriege Santa Fe de Bogotagenannt, liegt 2556 Fuſs höher als das mildere Popayanund 820 Fuſs tiefer als Quito. Es bietet in seiner 15-18 geogra - phische Quadrat-Meilen groſsen, ganz söligen, fast baumlosen Fläche vier merkwürdige Erscheinungen dar; den prachtvollen Wasserfall des Tequendama, der von der Region immer - grüner Eichen in eine Kluft stürzt, zu welcher Palmen und baum - artige Farren bis an den Fuſs der Cataracte hinaufgestiegen sind; das mit Mastodonten-Knochen überfüllte Riesenfeld, Campo de Gigantes; Steinkohlenflöze und mächtige Steinsalz - schichten. Das Vorkommen der beiden letztern Formationen erregt um so mehr Befremdung, als sie eine Höhe erreichen, ohngefähr der gleich, welche man erhält, wenn man sich unseren Brockenauf den Gipfel der Schneekoppegethürmt denkt. Der Charakter der ganzen Landschaft ist groſsartig, aber melancho - lisch und öde. Die Stadt, von Alleen riesenmäſsiger Daturen umgeben, liegt dicht an einer fast senkrecht abgestürzten Fels - wand, deren östlicher Abfall über den Paramo de Chiguachihin - über in die Ebenen des Metaund Orinocoführt. An dieser Felswand hängen, fast zwei tausend Fuſs über der Stadt, nester - artig zwei Capellen, Monserrateund Guadalupe, besuchte Wall - fahrts-Orte, in absoluter Höhe fast dem Gipfel des Ätnagleich. Gegen Südwesten sieht man ununterbrochen eine Dampfsäule aufsteigen. Sie bezeichnet den Punkt, wo der Wasserfall von Tequendamaliegt.

Die Vegetation der Hochebene contrastirt mit der des Ab - hanges der Felswand, an der die Capellen hängen, wo unter dem Schatten von Escallonia tubar, Vallea stipularis und Weinman - nien, purpurblüthige Thibaudien, Passifloren und Gaulterien von ewigem Nebel getränkt werden. Die mittlere Jahrestemperatur von Bogota(bei 8130 Fuſs Höhe und unter 36′ Breite) ist 14′ 5, nach hunderttheiliger Scala, also gleich der Temperatur41 von Rom, aber in Romsind die mittleren Grade der wärmsten und kältesten Monate um 16° verschieden (Januar7°,8;August23°,7), wäh - rend daſs in der Hochebene von Bogotadie Wärme so gleichmäſsig vertheilt ist, daſs oft sieben auf einander folgende Monate nur einen Unterschied von $$\frac{9}{10}$$ Grad mittlerer Wärme darbieten. Im ganzen Jahre ist der wärmste Monat 16°,6, der kälteste 14°,2. Die klimaterischen Einflüsse auf die Lebensprozesse des Organis - mus hängen mehr von der Vertheilung der Wärme unter die verschiedenen Jahres - und Tageszeiten, als von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab.

Die Bergebene von Bogotahat, wie ihr individuelles Klima, also auch ihre eigene geognostische Mythe. Die Ebene bildet, wie die Bergebene von Mexico( Tenochtitlan), ein Becken, aus dem die Wasser nur in einem einzigen Punkte einen Ausweg finden. Beide enthalten in ihrem Schuttboden die fossilen Kno - chen elephantenartiger Thiere, aber die Öffnung im Thal von Mexicoist eine künstliche, durch die spanischen Ansiedler seit 1607 begonnen: der Paſs, durch welchen der Rio de Bogotaoder Funzha, bei Tequendama, die Wasser der Hochebene ausführt, ist ein natürlicher. Mythische Traditionen des Urvolks, der Muyscas, schreiben die Öffnung dieses Passes und die Entstehung des gro - ſsen Wasserfalles der mächtigen Hand eines Wundermannes, des Botschica (Bochica) zu, einem Heliaden, wie Manco-Capac, der die in roher Sitte lebenden Muyscas zum Ackerbau anregte, den Sonnendienst einführte, und, wie in Tübetund Japan, die Ober - gewalt unter einen weltlichen Herrscher (Zaque) und einen geist - lichen, den Ober-Lama des Sonnentempels von Iraca(bei Soga - moso), theilte. Die Local-Fluth, Bildung und Anschwellung des Sees Funzha, wurde durch eine dem Heliaden feindliche weib - liche Gestalt, Huythaca, verursacht. Was von dem Menschen - geschlechte, das heiſst dem Stamme der Muyscas, übrig blieb, rettete sich auf die nahen Berge. Der langbärtige Wundermann Botschica öffnete die Felswand bei Tequendamaund Canoas: er trocknet die nun wieder bewohnbare Ebene. Huythaca selbst wird der alle Feuchtigkeit anziehende Mond, welcher nun erst die Erde zu begleiten beginnt. Ähnlichkeit zwischen den drei mythi - schen Personen, Quelzalcoatl in Mexico, Botschica in Neu-Granadaund Manco-Capac in Peru. Die beiden erstern, nachdem sie ihr42 Missions-Geschäft vollbracht, enden auf einsamen Bergen, wie Buddha, in selbstaufgelegten strengen Büſsungen. Überall hat sich die symbolisirende Menschheit Personificirungen, Repräsentanten der Gesittung, groſse historische Gestalten gedacht, um ihnen, einfach und bequem, als plötzliche Erfindung, Fortschritte der Cul - tur, geistliche und bürgerliche Einrichtungen, technische Künste und Verbesserung der Mondjahre zuzuschreiben. Was sich allmä - lig entwickelt hat, wird gedacht als simultan, wie durch fremde Wundermänner oder Ankömmlinge hervorgerufen.

Der Salto de Tequendama, um dessen Ursprung sich der geognostische Theil der Mythe dreht, verdankt seinen im - ponirenden Anblick dem Verhältniſs seiner Höhe (870 Fuſs nach Roulin) zur herabstürzenden Wassermasse. Nahe bei dem Saltoliegt das Steinkohlenflöz von Canoas, wohl eines der höchsten in der bekannten Welt, aber eben so wenig, als die Steinsalz-Massen von Zipaquira, am entgegengesetzten nordöstlichen Endpunkte der Hoch-Ebene, ein isolirtes Phänomen. Steinkohlen und Steinsalz wiederholen sich an beiden Abhängen der Cordillerenin sehr verschiedenen Höhen. Sie zeugen, wie die Sandstein-Formation, welche ununterbrochen vom Magdalena-Stromeauf das Plateau von Bogotahinauf -, und dann gegen Osten über dem Rücken ( Paramo de Chiguachi) in die Ebenen des Metaund Orinocohinabsteigt, für die Hebung der ganzen Andes-Kette. Unter dem Sandstein, der bei Bogotagelblich-weiſs, feinkörnig-quarzig und von thonigem Bindemittel ist, in tieferen Punkten aber mit Con - glomerat-Schichten wechselt, die eckige Stücke von Lydischem Stein, Thonschiefer und Gneis einschlieſsen, ist bis jetzt keine andere Flöz-Formation gesehen worden. Er ruht unmittelbar bald auf Übergangs-Thonschiefer, bald auf Gneis. Der Sandstein ist mit schwefelhaltigem Gyps, Salzthon und Steinsalz, an andern Punkten mit Schieferthon und Steinkohlen-Flözen bedeckt. Wenn man die Steinsalz-Niederlagen und Salzquellen auf der Hochebene von Bogota, in der smaragdreichen Provinz Muzound am öst - lichen Abhange gegen die Llanos von Casanarehin in einem Blicke geographisch zusammenfaſst, so zeigen sich gangartige Spalten, die in einer eigenen, aber breiten Zone, von Westen nach Osten, die ganze mächtige östliche Andes-Kettedurchziehen und in sehr verschiedenen Höhen Steinsalz, gypshaltigen Salzthon43 und Jode führende Salzquellen an die Oberfläche gebracht haben. Neben den partiellen Bildungen, die nur von dem bedeckt sind, was ihnen selbst zugehört, unterteuft die allgemein verbreitete Sandstein-Formation einen grau - und gelblich-weiſsen, in regel - mäſsige Bänke abgetheilten, dichten, bisweilen Höhlen enthalten - den Kalkstein.

Die Abhandlung desHerrn vonHumboldt, auf ältere Beobachtungen ge - gründet, beschreibt die Auflagerung dieser Flöz-Formationen in bloſsen Raum-Verhältnissen, ohne sie zu benennen nach dem Parallelismus oder der Identität mit jetzt wohlerkannten euro - päischen Typen. Diese Vorsicht schien nöthig zu einer Zeit, wo das Studium der zoologischen Kennzeichen und charakterisirenden Fossilien der fast einzig sichere Leiter geworden ist. Soll man jene mächtige Sandstein-Formation von Bogotamit Steinkohlen und aufliegenden Gyps - und Steinsalz-Schichten für Totes-Liegende, jenen Kalkstein an der Felswand von Tequendamafür Jura-Kalk halten, oder hat man hier alte Kreide und Keuper-Sandstein be - schrieben? Eine sorgfältige und glückliche Bestimmung der in unseren Sammlungen sich allmälig häufenden Versteinerungen der Andes-Kettewird bald die Identität der Formationen mit euro - päischen Typen befriedigend aufklären.

〈…〉〈…〉

About this transcription

TextÜber die Hochebene von Bogota
Author Alexander von Humboldt
Extent7 images; 1939 tokens; 910 types; 13139 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Über die Hochebene von Bogota. Alexander von Humboldt. . 1838. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin pp. 38-43.

Identification

Physical description

Antiqua

LanguageGerman
ClassificationBerliner Akademiereden/-schriften und andere Reden; ready; avh

Editorial statement

Editorial principles

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:48:36Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding Library
Shelfmark
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.