Jn dem Jntelligenzblatt der Allgem. Literaturzeitung (vorigen Jahrs Nr. 169. S. 1447.) habe ich bereits angezeigt, daß ich mitten in Deutſchland ein Magnet - gebirge entdeckt habe, welches die auffallendſten geogno - ſtiſchen und phyſikaliſchen Erſcheinungen zeigt. Mit Freuden ſehe ich, daß dieſe Nachricht das lebhafteſte Jntereſſe der Naturforſcher auf ſich gezogen hat. Al - lerdings muß ein Kegelberg, welcher, unabhaͤngig von dem allgemeinen Magnetismus des Erdballs, gleich - ſam fuͤr ſich ein iſolirtes Ganzes ausmacht, ein Kegel - berg, welcher auf ſeinem ſuͤdlichen Abhange bloße Nord - pole, auf ſeinem noͤrdlichen bloße Suͤdpole darbietet, welcher nicht eine, ſondern viele, in verſchiednen Ebe - nen liegende, parallele magnetiſche Axen hat, und wel - cher die Magnetnadel ſchon in einer Entfernung von 22 Fuß aus ihrer natuͤrlichen Lage reißt, gerechte Verwunderung erregen. Wir wiſſen aus den Beob - achtungen eines la Hire, Picard, Maraldi und Caſſi -G 2ni,100ni, daß der magnetiſche Pol des Erdſphaͤroids ſeit 1660 immer weiter gegen Weſten fortſchreitet, ob - gleich die Oſcillationen, welche die Mittagswaͤrme und die verſchiedne Temperatur der Jahrszeiten hervorbrin - gen, oft einen ſcheinbar retrograden Gang veranlaßt. Wie wichtig waͤre die Unterſuchung, wenn eine Magnet - axe unſres Gebirges aſtronomiſch in ihrer Lage beſtimmt waͤre, ob dieſe Axe nach 20 – 30 Jahren ihre Rich - tung veraͤndert hat, und ob der inverſe Nordpol eben ſo gegen den wahren Oſtpunkt, wie der magnetiſche Erdpol gegen Weſten fortgeruͤckt iſt! Wie wichtig waͤ - re es, mit einem ſaußuͤreſchen Magnetometer zu pruͤ - fen, ob jener im Winter, bey Gewittern, bey Nord - lichtern eine ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Polaritaͤt aͤußert! Wie aufklaͤrend fuͤr die Geognoſie waͤre es, wenn man alle Magnetaxen des Huͤgels mit einem Stollen, der hor. 5 – 6 in den Jndifferenzpunkten angeſetzt wuͤrde, durchfuͤhre (durchſchnitte), und die innere Beſchaffen - heit des Foſſils unterſuchte. Wenn ich die geographi - ſche Lage des Ganzen naͤher beſchreiben werde (eine Arbeit, die ich gewiß beginne, ſobald es mir meine Muſſe nur irgend erlaubt, ſo wird man einſehen, wie ſehr das Lokale alle dieſe Beobachtungen beguͤnſtigt.
Außer den allgemeinen geognoſtiſchen Verhaͤltniſ - ſen jenes Serpentinſteins verdient aber ſeine chemi - ſche Miſchung eine beſondere Aufmerkſamkeit. Jch habe nie einen natuͤrlichen oder kuͤnſtlichen Magneten ge - ſehen, welcher bis zu den kleinſten Bruchſtuͤcken, bis zu Splitterchen von 0,01 Kubiklinie zwey deutliche Pole darbietet. Wenn man ein Staͤubchen nimmt,wel -101welches nur unter der Lupe noch einen bemerkbaren Durchmeſſer zeigt, und dieſem Staͤubchen einen Magnet - ſtab naͤhert, ſo ſieht man es unter der Lupe umſprin - gen, je nachdem der Stab mit ſeinem Nord - oder Suͤd - Pol wirkt. Dazu zeigt ſich der Magnetismus hier unter andern Geſetzen, als wir ihn im Eiſen, Nickel und Kobalt erkennen. Das raͤthſelhafte Foſſil wirkt nur auf magnetiſirtes Eiſen. Derſelbe Serpentin, welcher ſo viele Fuß weit die Pole der Magnetnadel fortreißt, zieht auch nicht ein Staͤubchen unmagneti - ſirte Eiſenfeile an. Dagegen haͤngt der gepuͤlverte Serpentin ſelbſt willig, als Bart, an jeden kuͤnſtli - chen Magneten.
Jch bin uͤberzeugt, daß dies Phaͤnomen nicht iſo - lirt in der großen Kette der Naturdinge da ſteht. Die Erſcheinungen der Elektricitaͤt und die Entdeckungen der neuern Chemie haben uns nun ganz von Unterſu - chungen uͤber den Magnetismus abgelenkt. Richten wir aufs neue unſre Aufmerkſamkeit darauf, ſo wer - den unſre Unterſuchungen gewiß nicht fruchtlos blei - ben. Was Hr. von Fichtel in ſeinem vortreflichen und lehrreichen Werke uͤber die Karpathen, von den Serpen - tinmagneten vom Paſſe Vulkan in Siebenbuͤrgen ſagt, darf (nach dieſes Mineralogen beſtimmten Aeußerun - gen daruͤber) nicht mit unſerm polariſirenden Foſſile verwechſelt werden. Es iſt nichts ſchaͤdlicher fuͤr die Naturkunde, als ungleichartige Erſcheinungen unter ein - ander zu mengen. Jn jenem Werke heißt es aus - druͤcklich: “Nebſt dem Speckſtein und Serpentin - „ ſpath ſind dem Serpentinſtein von Paß Vulkan auchG 3„ kleine102„ kleine Eiſenkoͤrner beygemengt, die unter der Lupe „ allemahl, bisweilen aber auch mit „ freyen Augen geſehen werden. Daher „ kommt es, daß aller Serpentinſtein dieſes Gebirges „ retraktoriſch, und einiger ſogar magnetiſch iſt. „ Der talk - und ſpeckſteinartige Asbeſt iſt gar nicht „ magnetiſch, wenn er vom Serpentinſtein getrennt „ iſt.” Dies Phaͤnomen gehoͤrt alſo eben ſo wenig hie - her, als das der Schnarcher am Harze, oder der Umſtand, daß einiger Pechſtein den Compaß beun - ruhigt.
Jn meiner Anzeige in der allgem. Literaturzeitung habe ich bemerkt, daß die bisherigen Verſuche, welche ich mit meinem gelehrten Freunde, Hrn. Muͤnzmeiſter Goͤdeking, gemeinſchaftlich angeſtellt habe, uns das Daſeyn eines hoͤchſt oxidirten Eiſens anzeigen, und daß (wenn man es fuͤr unwahrſchein - lich haͤlt, daß die magnetiſche Kraft den erdigen Stoffen ſelbſt anhaͤngt) man ſie nur dem Eiſenkalke, womit das Foſſil tingirt iſt, zuſchreiben koͤnne. Auch jetzt noch bin ich weit davon entfernt, uͤber eine ſo neue Thatſache abſprechen zu wollen. Nur die haͤufigen Anfragen, welche achtungswerthe Maͤnner an mich ge - richtet haben, ob ich denn noch immer nicht kleine Partikeln von Magneteiſen in dem Serpentinſtein ein - geſprengt gefunden habe, machen es mir zur Pflicht, (da ich mehr, als andre, Gelegenheit habe, das Foſſil zu zerſchlagen, zu wiegen und zu unterſuchen) mich beſtimmter daruͤber zu aͤußern.
Der103Der meiſte Serpentinſtein aus dem polariſirenden Kegelberge iſt, unter der Lupe betrachtet, bis auf eini - ge Talkſchuppen vollkommen rein und ungemengt. Ei - niger enthaͤlt Asbeſt-Adern und etwas gemeine Horn - blende; in ein Paar Stuͤcken habe ich derben Schwe - felkies eingeſprengt gefunden. Die reinern Stuͤcke ſind durchgaͤngig die wirkſamern. Gegen die Wahrſchein - lichkeit, daß die Polaritaͤt von eingemengtem Magnet - eiſen herruͤhre, ſcheinen mir dermahlen folgende wichtige Thatſachen zu ſprechen:
Da das neue Foſſil eine ſchoͤne Politur annimmt, und leicht zu ſchneiden iſt, ſo kann es zu wichtigen Unterſuchungen uͤber den Magnetismus leiten. Man beſtimmt die Axe einer Tafel, laͤßt dieſelbe dieſer pa - rallel in Prismen, und dieſe in Wuͤrfel zerlegen. Wie trefflich kann man nun, mit dieſen, Geſetze fuͤr die Stoͤhrungen der Pole, Geſetze fuͤr das Verhaͤltniß zwi - ſchen der Maſſe und den Kraͤften entdecken. Doch ich behalte mir vor, dieſe Verſuche ein andresmahl naͤ - her zu beſtimmen.
Ohnſtreitig wird Jhre merkwuͤrdige Entdeckung des polariſirenden Serpentins eine neue fruchtbare Ver - anlaſſung zur naͤhern Unterſuchung magnetiſcher Kraͤf - te werden, woruͤber wir wohl noch manchen Aufſchluß erwarten duͤrfen, ohnerachtet einige ſinnreiche Erklaͤ - rungsarten bisher dem groͤßten Theile der Naturforſcher Genuͤge geleiſtet, und wenigſtens den Eifer fuͤr dieſe Unterſuchungen etwas geſchwaͤcht zu haben ſcheinen. Da wir erſtlich neuerlich noch, außer dem Eiſen, mit einigen andern Koͤrpern des Mineralreichs bekannt wor - den ſind, welche eine aͤhnliche Wirkſamkeit auf den Magnet aͤußern, und in Jhrem neuentdeckten Serpen - tin ſogar einen natuͤrlichen Magnet von beſonderer Art haben kennen lernen, ſo iſt vielleicht die Summe der Beobachtungen und Erfahrungen noch nicht groß genug, um voͤllig befriedigende Erklaͤrungen uͤber dieſe merkwuͤr - digen Erſcheinungen erwarten zu koͤnnen. Die vorzuͤglich - ſten Aufſchluͤſſe hieruͤber werden wir wahrſcheinlich von Jhnen ſelbſt erhalten, weil Sie ſich, wie bekannt, weit angelegentlicher mit genauen Verſuchen und Be -G 5obach -106obachtungen, als mit der Verfertigung neuerer Syſte - me und Theorien beſchaͤftigen.
Mir werden Sie erlauben, einſtweilen hierzu ei - nen kleinen Beytrag zu liefern, der in einigen Verſu - chen uͤber das Verhalten mehrerer Steinarten gegen den Magnet beſteht, die, ſo viel ich weiß, wenigſtens zum Theil noch nicht bekannt ſind, und die ich daher Jhrer Pruͤfung und Beurtheilung unterwerfe.
Die Aehnlichkeit, welche Jhr Serpentin mit einer Gebirgsart hat, die in der Naͤhe des ſchweizeriſchen Topfſteins bricht, veranlaßte mich zuerſt mit letztern Verſuche anzuſtellen, und dieſe alsdann mit mehrern Steinarten, hauptſaͤchlich aus dem Talkgeſchlechte, fort - zuſetzen. Dieſen Verſuchen zufolge, die ich, um alle Taͤuſchung wo moͤglich zu verhuͤten, in Gegenwart des Hrn. Jnſpektors Gries, eines bekannten und ge - lehrten Phyſikers, und eines geuͤbten Mineralogen, des Hrn. Legationsſekretairs von Hof mehrmahls wieder - holte, wirkt
Außer den erwaͤhnten Steinarten zeigte uͤbrigens keine einzige Gattung des Talkgeſchlechts, das ich ſehr vollſtaͤndig in meiner Sammlung beſitze, ſo wenig als eine Menge andrer Gebirgs - und Stein-Arten, auch nur die mindeſte Wirkſamkeit, den Jngermannlaͤndi - ſchen Labrador ausgenommen, welcher nur aͤußerſt ſchwach die Nadel abzuweichen noͤthigt. Zu dieſem Verſuche wurde ich durch die Beobachtung des Hrn. Brugmanns in ſeinem Werke uͤber die magnet. Materie, welcher S. 296. ſogar die deutlichſte Pola - ritaͤt bey demſelben wahrgenommen haben will, veran - laßt; aber Polaritaͤt habe ich auf keine Weiſe entdek - ken koͤnnen, ohngeachtet dieſer Verſuch auf alle moͤgli - che Weiſe wiederholt wurde. Deſſen Lithologia gro - ningana ſecund. ord. Wallerii digeſt., worin mehrere ſolche Verſuche mit Stein - und Gebirgs - Arten enthalten ſeyn ſollen, habe ich nicht nachſehen koͤnnen.
Alle angefuͤhrten Steinarten verhielten ſich alſo gegen die Nadel groͤßtentheils wie unmagnetiſches Ei - ſen, indem ſie auf gleiche Weiſe auf dieſelbe wirkten, und ſich auch pulveriſirt wie Feilſpaͤne anhiengen; und nur einige darunter beſaßen dieſe letztere Eigenſchaft nicht: uͤbrigens aber zogen ſie ſaͤmmtlich, wie ſich ſchon im voraus vermuthen ließ, weder Feilſpaͤne, noch ihr eignes Pulver, und auch keinen pulveriſirten Magnet -eiſen -110eiſenſtein an, welches letztere ich auch bey Jhrem pola - riſirenden Serpentin vergeblich probierte.
Was mir hierbey vorzuͤglich noch eine naͤhere Un - terſuchung zu verdienen ſcheint, iſt die bereits oben an - gefuͤhrte Erſcheinung, daß von der nemlichen Steinart nur Stuͤcke aus gewiſſen Gegenden dieſe Wirkſamkeit auf den Magnet aͤußern: doch koͤnnte es leicht moͤglich ſeyn, daß ſich gerade zufaͤlliger Weiſe nur ſolche Stuͤcke aus jenen Gegenden in meiner Sammlung befinden, welche entweder dieſe Eigenſchaft faſt unmerklich oder gar nicht beſitzen, da es ſelbſt bey Jhrem Serpentine der Fall iſt, daß einige Stuͤcke darunter weniger Wirk - ſamkeit aͤußern, und es uͤberhaupt auch bey den ange - fuͤhrten Steinarten ſcheint, als wenn gewiſſe Stellen weit ſtaͤrker wirkten. Nur durch fortgeſetzte Verſuche wird ſich hieruͤber entſcheiden laſſen, und auch nur durch ſolche wird meine nachfolgende Vermuthung ent - weder Beſtaͤtigung erhalten koͤnnen, oder gaͤnzlich ver - worfen werden muͤſſen.
Es ſcheint mir nemlich nicht ganz unwahrſchein - lich zu ſeyn, daß ein in mehrern Talkarten enthaltener, faſt unmerklicher, Magneteiſenſtoff dieſe Erſcheinung veranlaßt, da der Magneteiſenſtein, wie bekannt, vor - zuͤglich haͤufig, theils mit Talkarten, theils in talkar - tigen Gebirgsarten bricht: und folglich koͤnnte leicht eine gewiſſe Verwandtſchaft zwiſchen der Bitterſalzer - de und dem Magneteiſen Statt finden, woruͤber uns Jhre, und die bewaͤhrten Zerlegungen des Hrn. Prof. Klaproths, welche fuͤr jetzt freylich meiner Vermu -thung111thung zu widerſprechen ſcheinen, bald mehreres Licht verſchaffen werden.
Ehe ich ſchließe, erlauben Sie mir, Jhnen noch ei - ne andre Merkwuͤrdigkeit mitzutheilen, welche mit dem vorhergehenden in einiger Verbindung ſteht, und wel - che meines Wiſſens noch nicht bekannt iſt*)Noch nirgends habe ich einen Granit mit einzel - nen eingewachſenen Magneteiſenkryſtallen erwaͤhnt gefunden.. Bey der Durchmuſterung mehrerer Harzer Gebirgsarten fand ich nemlich vor kurzem ſehr kleine, aber vollkommen deutliche, Oktaeder von Magneteiſenſtein in einzelnen Stuͤcken des Granits vom Rehberge eingewachſen, und wahrſcheinlich ſind ſie mehrern Mineralogen, ſo wie mir, bey dem Anſchlagen und dem erſten Anblicke des Stuͤcks entgangen, wo haͤufig Schmutz und Feuchtig - keit die Wahrnehmung ſolcher kleinen Gemengtheile verhindert, welche erſtlich in der Folge bey der Ab - trocknung des Stuͤcks zum Vorſchein kommen. Soll - te daher nicht vielleicht die Nadel in der Naͤhe der Schnarcher**)Die Beunruhigung der Magnetnadel in der Naͤ - he der Schnarcher und auf den Jlſenſtein, ſcheint jedoch nach den Beobachtungen des Hrn. v. Trebra und Hrn. v. Zach, ſ. Bodens Abhandlung 1794. S. 262. von einer ganz andern Urſache herruͤhren zu muͤſſen: daher ich dies auch blos fuͤr eine ſehr gewagte Vermuthung ausgehe. durch dieſe Urſache beunruhigt wer - den? Bey dem Beſuche derſelben bin ich uͤberhaupt nicht ſo gluͤcklich geweſen, dieſe Erſcheinung ganzdeut -112deutlich wahrzunehmen: und ſobald ſich wirklich ein - zeln eingewachſene Magneteiſenkryſtalle vielleicht par - theyenweiſe in ihrem Granite befaͤnden, ſo wuͤrde ſich leicht erklaͤren laſſen, warum nicht jedem dieſe Wahr - nehmung gelingt, welche alsdann lediglich durch das Ohngefaͤhr beguͤnſtigt wird. Jn den Granitſtuͤcken, welche ich von den Schnarchern beſitze, laͤßt ſich zwar kein Magneteiſenkryſtall entdecken; aber da der Gra - nit der Harzgebirge im Ganzen ſehr gleichartig iſt, und von einer und derſelben Formation zu ſeyn ſcheint, ſo waͤre es wenigſtens ſehr moͤglich, daß ſich auch an jenen Felſen einzelne Stuͤcke mit dem nemlichen Jnhal - te faͤnden.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Ueber den polarisirenden Serpentinstein. Alexander von Humboldt. . VI+14 S. 1797. Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Aerzneygelahrtheit, Haushaltungskunde und Manufacturen (1) pp. 99-112.
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