PRIMS Full-text transcription (HTML)
Neues Journal der Phyſik.
Vierter Band.
Nebſt 11 Kupfertafeln.
Leipzig,bey Joh. Ambr. Barth.1797.
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10. Ueber die merkwürdige magnetiſche Polarität einer Gebirgskuppe von Serpentinſtein. Aus einem Briefe vom Herrn Oberbergrath F. A. v. Humboldt an den Herausgeber.

Mehrere angefangene chemiſche Arbeiten, deren Vollendung ich noch entgegenſehe, hindern mich, Sie mit Gegenſtänden zu unterhalten, welche kein geringes Jntereſſe für den Scheidekünſtler haben. Jch benutze daher die wenige Muße, welche mir heute übrig bleibt, um Jhnen eine Thatſache zu melden, welche ich auf einer Fußreiſe im vorigen Monathe entdeckte. Das Jntereſſe der Phyſiker iſt ſo lange von den Erſcheinungen des Mag - netismus abgelenkt geweſen, daß es mich doppelt freuen würde, daſſelbe durch jene Entdeckung vielleicht von neuem darauf zu heften. Auf einer geognoſtiſchen Tour, welche ich mit zween Freunden, Herrn Münzmei - ſter Gödeking und Herrn Oberbergmeiſter Killin - ger durch das Oberpfälziſche und angränzende Gebirge machte, ſtieß ich auf eine Gebirgskuppe von Serpentin - ſtein, deſſen Fallungswinkel ich mit der Bouſſole beſtim -men137men wollte. Kaum näherte ich dieſelbe dem anſtehenden Geſtein, ſo ſahe ich den Südpol meiner Magnetnadel mit Heftigkeit aus ihrer Lage und in den wahren Norden geriſſen. Jch glaubte das Phänomen der Harzer Schnar - cher, (an denen ein magnetiſcher Streifen herab läuft), hier erneuert zu ſehen. Meine Freunde traten herzu und wir erſtaunten nun über alles, was wir ſahen. Jch be - halte mir vor, in der Folge eine umſtändlichere Beſchrei - bung jener Gebirgskuppe bekannt zu machen. Doch muß ich Jhnen vorläufig folgende Verhältniſſe entwickeln. Die Kuppe iſt dergeſtalt gegen die Erdachſe gerichtet, daß das Geſtein, am nördlichen Abhange, bloße Süd - pole, am ſüdlichen Abhange bloße Nordpole zeigt. Gegen Weſten und Oſten liegen Jndifferenz - punkte. Die Maſſe beſteht aus reinem Serpentinſtein, meiſt von lauchgrüner Farbe, der hier und da in Chlo - ritſchiefer übergeht. Einzelne Punkte ſind ſo magnetiſch, daß ſie in einer Entfernung von 22 Fuß die Magnetna - del aus ihrer natürlichen Lage reiſſen. Das Gebirge hat nicht eine Achſe, ſondern viele, die aber nicht in einer Ebene liegen. Zwiſchen zwey wirkſamen Nordpolen liegt völlig unwirkſames Geſtein, welches aber we - der durch äußere Kennzeichen, noch durch ſeine Miſchung von dem wirkſamen zu unterſcheiden iſt. Wenn man an dieſem Gebirge einige Achſen aſtro - nomiſch genau in ihrer Lage beſtimmte, ſo wäre es eine wichtige Unterſuchung, ob der invertirte Nordpol in der Folge der Zeiten eben ſo gegen Oſten, wie der magne - tiſche Nordpol des Erdſphäroids gegen Weſten fortrü - cken würde? Mit dem Sauſſurſchen MagnetometerJ 5wäre138wäre zu beſtimmen, wie die magnetiſche Kraft, von Ge - wittern und Nordlichtern, von Sommerhitze und Win - terkälte afficirt werde. Bey den Schnarchern iſt es (wie Herr Freiesleben in ſeinen vortreflichen Be - merkungen über den Harz gezeigt hat), nicht unwahr - ſcheinlich, daß ein Blitzſtrahl in dem Granit jenen mag - netiſchen Streifen hervorgebracht habe, daher auch nur der ganze Fels und nicht Bruchſtücke wirkſam ſind. Un - ſere Gebirgskuppe zeigt eine viel größere Erſcheinung. Nicht bloß das anſtehende Geſtein, ſondern auch jedes noch ſo klein abgeſchlagene Stück hat ſeine beiden Pole, ſeine eigene magnetiſche Achſe. Stücke von 8 Zoll Durchmeſſer afficiren die Magnetnadel auf 4 6 Zoll Entfernung. Jch habe nie einen Magnet - ſtein geſehen, der die Polarität bey der Zerkleinung in ſolcher Vollkommenheit beybehält, als dieſer Serpentin. Splitter von $$\frac{1}{64}$$ Cubiclinie wälzen ſich (wie die Lupe deutlich zeigt), wenn man ihnen freundſchaftliche oder feindliche Pole eines Magnetſtabes entgegen hält. Man ſieht hier recht eigentlich (wie es Coulomb's Theorie annimmt), ein Foſſil, das bis in die kleinſten molecu - les aus einzelnen Magneten zuſammengeſetzt iſt. Noch mehr! Eben der Serpentinſtein, welcher eine ſo auf - fallende Polarität äußert, zeigt bis jetzt keine Spur von Anziehung gegen unmagneti - ſches Eiſen. Das zerriebene Foſſil hängt ſich als Bart an den Magnetſtab an, aber Stücke, welche den Südpol auf 3 Zoll Entfernung durch den ganzen Halbcir - kel gegen Norden reiſſen, bewegen kein Eiſenſtäubchen aus ihrer Stelle. Und wie leicht zeigen ſonſt die ſchwäch -ſten139ſten Magnete dieſe Ziehkraft! Unterſuchen Sie das eiſerne Hausgeräthe. An Schlüſſeln, Lichtſcheeren und allen Werkzeugen, in denen das magnetiſche Gleichge - wicht durch Schläge zufällig geſtöhrt wird, finden Sie häufig beiderley Pole. Eben dieſe Lichtſcheeren bewegen aber auch die Eiſenfeile. Welchen Beſtandtheil des Serpentinſteins adhärirt aber jene wunderbare magne - tiſche Kraft? Das iſt eine Frage, die ſich einem von ſelbſt aufdringt. Weit davon entfernt ſie jetzt ſchon ent - wickeln zu wollen, melde ich Jhnen bloß, daß das Foſ - ſil bis auf einige Talkſchuppen und Hornblende, ganz ungemengt iſt. Zerpulvert iſt auch ſchlechterdings nichts metalliſch-glänzendes darin zu erkennen. Der Magnet zieht ein Atom des berggrünen erdigen Pulvers, wie das andere, an. Das ſpecifiſche Ge - wicht des Foſſils iſt ſehr geringe, ja nächſt dem Bim - ſtein und einigen Abänderungen der Opale, gehört es zu den leichteſten Steinarten, die wir kennen. Das Waſſer = 1 hat der Serpentinſtein von 1,901 bis 2,04. Alle chemiſchen Verſuche, welche ich bisher mit meinem Freunde, Herrn Gödeking, (in deſſen Kenntniſſen ich eine lehrreiche Unterſtützung finde), an - geſtellt habe, beweiſen, daß das Eiſen, welches der Ser - pentinſtein*)Phyſiker und Mineralogen, welche das magnetiſche Foſſil ſelbſt zu unterſuchen wünſchen, haben ſich mit poſtfreyen Brie - fen an den Herrn Bergamtsgegenſchreiber Linz zu Goldcronach bey Bayreuth zu wenden, welcher ihnen Stücke zu 16 Gr. bis 2 Thaler überläßt. Der Er - trag dieſes kleinen Mineralienhandels iſt zu einem Fondbe - enthält, in einem höchſt oxydirtenZu -140Zuſtande ſich befindet. Will man nicht an - nehmen, daß die magnetiſche Kraft einer Erdart adhäriren könne, ſo muß man ſie dem Eiſenkalke zuſchreiben, womit dieſer und alle Serpentinſteine tingirt ſind. Wir wiſſen, daß reguliniſches Eiſen, Nickel und Kobalt vom Magnete gezogen werden, und ſelbſt Magnetismus annehmen. Wir wiſſen, daß ſchwach oxydirtes Eiſen (im ſchwarzen Kalke) den Magneten ebenfalls afficirt aber welch ein Unterſchied zwiſchen dieſer Eigenſchaft und einer eigenthümlichen Polarität, zwiſchen dem ſchwarzen Eiſenkalke und dem, welcher den Serpentinſtein, viele Kalkſteine, den Sapphir und Chryſoberyll tingirt. Vou - loir établir des théories avant d'avoir rassemblé les faits, construire quand n'a pas même encore observé, c'est un erreur qui de tout tems à arrêté la marche de nos connosſtance. Condorcet Esquisse d'un Ta - bleau histor. des progrès de l'esprit hu - main. 97. p. 61.

*)beſtimmt, der unter öffentlicher Autorität ſteht und der Un - terſtützung dürftiger Bergleute gewidmet iſt. Auch zu Freyberg, Regensburg, Leipzig und Berlin werden De - pots vom neuen Foſſil angelegt.
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11.

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TextUeber die merkwürdige magnetische Polarität einer Gebirgsgruppe von Serpentinstein
Author Alexander von Humboldt
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Ueber die merkwürdige magnetische Polarität einer Gebirgsgruppe von Serpentinstein. Aus einem Briefe vom Herrn Oberbergrath F. A. v. Humboldt an den Herausgeber. Alexander von Humboldt. . I+5 S. 1797. Neues Journal der Physik (4) pp. 136-140.

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LanguageGerman
ClassificationWissenschaftliche Abhandlungen in Form gedruckter Briefe; Wissenschaft; Geographie; ready; avh

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